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Insights

Fünf Fokusse für ein gelingendes Leben (2/2)

Autor

Georgiy Michailov

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Oder: Wohin unsere Energie auch noch fließen kann

Energie folgt dem Fokus – ausgehend von diesem für mich wichtigen Satz habe ich vor 14 Tagen über zwei von insgesamt fünf Fokussen geschrieben, die sich meines Erachtens lohnen, im Alltag beachtet zu werden.

Der erste Fokus richtete sich auf das Positive, auf die Kraft des Optimismus.

Der zweite Fokus richtete sich auf das, was wir bereits haben, und darauf, dieses wertzuschätzen, statt immer nur blind neuen (materiellen) Wünschen nachzustreben. Das Leben, die Gesundheit – wenn wir sie haben, ohne wesentliche Einschränkungen, ist das schon Grund genug, dankbar zu sein.

Heute nun möchte ich Ihnen drei weitere Fokusse vorstellen.

Fokus No. 3: Auf die Kontrolle

In der hochkomplexen und dynamischen Welt von heute, in diesem turbulenten äußeren Umfeld ist es besonders wichtig, auch eine tiefe innere Ruhe zu finden.

Eine mögliche Lösung bietet das antike Konzept der Stoiker, das auf dem Streben nach Gelassenheit, Weisheit und innerer Ruhe beruht und etwa 300 v. Chr. in Athen entstand.

Eine der zentralen Ideen der Stoa ist die Dichotomie zwischen dem, was außerhalb unserer Kontrolle liegt, und dem, was wir beeinflussen können.

Dieser Gedanke geht auf Epiktet zurück. Er kam als Sklave nach Rom, lernte dort die stoische Lehre kennen und begann, sie selbst zu verbreiten. So wurde er zu einem der großen Philosophen der römischen Kaiserzeit und zu einem der einflussreichsten Vertreter der späten Stoa.

Die folgende Ansicht Epiktets ist für mich besonders relevant:

„Der Weg zum Glück besteht darin, sich um nichts zu sorgen, was sich unserem Einfluss entzieht.“

Eine für mich noch präzisere Definition dieses Gedankens liefert William B. Irvine, ein bis Ende 2021 in Ohio lehrender Philosophieprofessor, der sich wiederholt mit den Stoikern beschäftigt hat. In seinem Buch „Eine Anleitung zum guten Leben“ spricht er von der sogenannten „Trichotomie der Kontrolle“. Dabei unterscheidet er

  • Dinge, über die wir überhaupt keine Kontrolle haben,
  • Dinge, über die wir absolute Kontrolle haben, und
  • Dinge, über die wir eine gewisse Kontrolle haben.

Alles, was uns begegnet, kann einer dieser drei Kategorien zugeordnet werden.

Zur ersten Kategorie – den Dingen, über die wir keine Kontrolle haben – gehören zum Beispiel das Wetter, Naturkatastrophen oder auch der Sonnenuntergang.

Zur zweiten Kategorie gehören unsere Ziele, Urteile, Werte und möglicherweise auch unsere Reaktionen auf Ereignisse. Die Selbstbeherrschung und die Kontrolle über unsere Impulse liegen jedoch nur zu einem gewissen Teil in unserer Hand. Nur ein trainierter Geist ist in der Lage, seine Reaktionen vollständig zu kontrollieren.

Die dritte Kategorie mit den Dingen, die zwischen den Extremen liegen und nur (oder immerhin J) teilweise von uns beeinflusst werden können, macht den größten Teil dessen aus, was wir Leben nennen – unseren Alltag, unsere Entscheidungen und unser Handeln. In diese Kategorie fällt beispielsweise auch das Ergebnis eines Projekts, eines Spiels oder eines Prozesses. Denn auch wenn unsere Inputs den Output mitbestimmen, ist in einer hochkomplexen Umwelt keineswegs garantiert, dass dieser auch eintritt. Man kann sich hervorragend auf einen Boxkampf vorbereiten und trotzdem verlieren, zum Beispiel durch einen Lucky Punch des an sich deutlich unterlegenen Gegners.

An dieser Stelle greife ich gerne die sehr stoische Empfehlung des Psychologen und Coaches Jens Corssen aus seinem Selbstentwickler-Konzept auf (hier finden Sie unser Gespräch in den „SMP LeaderTalks“). Er rät, in solchen Situationen nicht das äußere, sondern das innere Spiel zu spielen. Damit meint er, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die man selbst kontrollieren kann. Im oben genannten Beispiel eines Boxkampfes wären das das intensive Konditionstraining, die exzellente Technik und die richtige taktische Einstellung auf den Gegner. Das sind die Dinge, die wir selbst in die Hand nehmen und mit maximalem Einsatz leisten können.

Die Wahrscheinlichkeit, dass wir das äußere Spiel gewinnen, ist am größten, wenn wir unser inneres Spiel am besten spielen.

Vor allem werden wir uns nicht selbst die Schuld geben, wenn wir verlieren. Solange wir unser inneres Spiel unter den getroffenen Annahmen gespielt haben, wenn wir also unser Bestes gegeben haben, haben wir uns nichts vorzuwerfen, selbst wenn sich diese Annahmen als falsch oder unzureichend erweisen. Außer, dass wir uns geirrt haben! Mehr zum Unterschied zwischen Fehler und Irrtum hier in meinem Beitrag.

Einen etwas anderen, aber mindestens ebenso spannenden Gedanken zum inneren und äußeren Spiel hat Tim Gallwey, ein Amerikaner, der – inspiriert durch seine Arbeit als Tennislehrer – vor fast 50 Jahren ein Buch über das innere Spiel veröffentlicht und sich als Coach für Sportler und Unternehmen einen Namen gemacht hat. Er ist davon überzeugt, dass Erfolg oder Misserfolg im äußeren Spiel entscheidend davon abhängt, inwieweit ich mir meines inneren Spiels (das er als Kampf gegen eigene Konzentrationsschwächen, Nervosität, Selbstzweifel oder Selbstkritik definiert) bewusst bin und es besser beherrsche.

In „Tennis – Das innere Spiel“ schreibt er:

„Jedes Spiel besteht aus zwei Teilen, einem äußeren und einem inneren. Das äußere Spiel wird gegen einen Gegner ausgetragen (...). Das (innere) Spiel findet im Kopf des Spielers statt und wird (...) gegen alle Denkgewohnheiten gespielt, die herausragenden Leistungen im Weg stehen.“

„Innere Spiele“ sind besonders wichtig in Berufen, die von Entscheidungen Dritter abhängen, wie zum Beispiel im Vertrieb. Wer hier erfolgreich sein will, muss nicht nur die inneren Spiele gewinnen, sondern auch lernen, mit Ablehnung umzugehen und dabei innerlich stabil zu bleiben.

Aus der Sicht der Stoiker sollten wir uns diese Trichotomie der Kontrolle im Alltag immer vor Augen halten und als Filter einsetzen. Auf diese Weise ersparen wir uns viele unnötige Sorgen – und lenken unsere Energie auf die Dinge, die tatsächlich in unserem Einflussbereich liegen.

Fokus No. 4: Auf den Prozess

Die meisten Menschen konzentrieren sich auf die großen Ziele im Leben, die zu erreichen Glück bedeutet. Nun sind Ziele zwar notwendig, um die Richtung zu kennen, aber nicht hinreichend, um dort anzukommen.

Schließlich gilt der Satz:

Wir brauchen häufig Abstand, manchmal räumlich, vor allem aber zeitlich, um die Muster des Lebens zu verstehen.

So beschreibt James Clear, Bestsellerautor und Experte auf dem Gebiet der Persönlichkeitsentwicklung, dieses Phänomen in seinem Buch „Atomic Habits“ (auf Deutsch erschienen unter dem Titel „Die 1%-Methode“).

Scott Adams, Erfinder der Dilbert-Comics und Bestsellerautor, geht in seinem Buch „How to Fail at Almost Everything and Still Win Big: Kind of the Story of My Life“ noch einenSchritt weiter. Seine Kernaussage lautet:

„Es ist ganz wahr, was die Philosophie sagt, dass das Leben rückwärts verstanden werden muss. Aber darüber vergisst man den anderen Satz, dass das Leben vorwärts gelebt werden muss.“

Die Begründung ist einfach und einleuchtend. Ziele sind konkrete Messgrößen, die man sich für die Zukunft setzt und dann erreicht oder nicht erreicht. Ziele verkörpern keinen Prozess, sondern ein Ereignis. Wer es erreicht, freut sich, wenn auch meist nur kurz, wer es verfehlt, trauert – und das gerne auch länger. In jedem Fall verschiebt ein Ziel den Lohn für alle Mühen, die man auf sich genommen hat, um es zu erreichen, in die Zukunft. Das ist einer der Gründe, warum so viele Neujahrsvorsätze nur Vorsätze bleiben. Ziele zu erreichen, erfordert viel Disziplin und Willenskraft. Sie erscheinen groß und weit weg.

Wer sich nun mit der aktuellen Willensforschung beschäftigt, erfährt, dass der Wille auch nur ein „Muskel“ ist. Er kann einerseits trainiert und dadurch gestärkt werden. Andererseits kann er aber eben auch ermüden, zum Beispiel wenn zu viele Entscheidungen getroffen werden müssen. In dem Fall fehlt uns die Kraft, das Ziel zu erreichen. So beschreibt es der Journalist und Pulitzer-Preisträger Charles Duhigg:

Die Opferhaltung hinter sich zu lassen und aus Rückschlägen das Beste zu machen, ist die wahre Kunst der Selbstbestimmung.

Statt auf den Willen setzt Duhigg lieber auf die Macht der Gewohnheit, denn Gewohnheiten entlasten Kopf und Körper. Wenn Handlungen automatisch, routiniert ablaufen, ist weder eine Entscheidung noch Überwindung nötig. So erklärt sich auch der Titel seines Buches: „The Power of Habit“.

Ziele machen selten den Unterschied. Viele Menschen wollen Filmstars, berühmte Musiker, Nobelpreisträger, Weltmeister oder Olympiasieger werden. Aber nur wenige schaffen es. Und das hat weniger mit fehlendem Willen zu tun als mit mangelnder Hartnäckigkeit und Ausdauer. Gerade im Sport wird deutlich, dass es nicht auf das Ziel ankommt, das man sich setzt, sondern auf das System, das jemand dafür nutzt, um es zu erreichen. Für James Clear beschränkt sich der Nutzen von Zielen darauf, die Richtung vorzugeben. Für den Fortschritt, für das Erreichen der Ziele sind hingegen Systeme oder systemische Wege verantwortlich.

Überzeugend an der Idee des systemischen Handelns ist auch, dass die Belohnung oder positive Bestätigung bei diesem Ansatz bereits in der Anwendung des Systems selbst liegt –und nicht erst in der Erreichung des weit in der Zukunft liegenden Ziels. So entsteht intrinsische Motivation, die rein physiologisch auf die Ausschüttung von Dopamin zurückzuführen ist. Und Dopamin ist nicht zu unterschätzen!

Daniel Lieberman, Professor für Human Evolutionary Biology an der Harvard University, beschäftigt sich mit diesem Botenstoff in seinem sehr empfehlenswerten Bestseller „The Molecule of More: How a Single Chemical in Your Brain Drives Love, Sex, and Creativity - and Will Determine the Fate of the Human Race“.

Noch in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ging die Wissenschaft davon aus, dass Dopamin die Rolle eines „Lustmoleküls“ oder „Glückshormons“ im Gehirn spielt. Neuere Erkenntnisse deuten jedoch darauf hin, dass Dopamin vor allem dann eine positive Reaktion auslöst, wenn etwas Unerwartetes, Unbekanntes, Mögliches, aber Überraschendes geschieht. Die Betonung liegt auf „unerwartet“ und „unbekannt“ – vor allem, wenn es sich um etwas handelt, das wir sehr begehren.

Mit anderen Worten: Die Rolle des Dopamins ist nicht nur die Belohnung an sich, sondern die Belohnung für ein überraschendes Ergebnis, das man in dieser Form nicht kommen sah. Solche „erfreulichen Irrtümer“ erhöhen unseren Dopamin-Spiegel und machen uns für eine Weile glücklicher. Ein einfaches Beispiel: Wenn wir eine Gehaltserhöhung von zehn Prozent anstreben und dann 15 Prozent bekommen, schütten wir heftig Dopamin aus. Das kann uns im ersten Moment richtiggehend euphorisieren.

Das Problem ist, wie Lieberman betont, dass genau darin auch die Schwäche der Dopamin-Logik liegt:

„Happiness is what’s there when you remove the sense that something is missing in your life.“

Dopamin ist nicht an Besitz interessiert, sondern nur an der Jagd nach etwas immer Spannenderem, immer Besserem.

„Dopamine has no standard for good, and seeks no finish line.”

Deshalb ist es wichtig, sich nicht nur große Ziele zu setzen, um Dopamin zu genießen, sondern auch auf die sogenannten Hier-und-Jetzt-Moleküle zu achten: auf Serotonin und Oxytocin, auf Endorphine und Endocannabinoide. Diese Moleküle sorgen dafür, dass wir nicht das Unerwartete genießen, sondern die aktuellen Sinneseindrücke.

Aus hormoneller Sicht kann man sagen, dass es keinen nachhaltigen Weg zum Glück gibt. Vielmehr wird das Glücklichsein zum Weg.

Auf diesen Wegen ist es wichtig, das „Tal der Enttäuschungen“, das fast jeder auf dem Weg zum Ziel einmal durchschreitet, hinter sich zu lassen. Diskrepanzen zwischen Realität und Erwartungen lassen sich nicht immer vermeiden, aber überwinden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Fokus nicht auf einzelnen, starren Zielen liegen sollte, sondern auf den Prinzipien und Prozessen eines Systems, die unser tägliches Handeln beeinflussen und damit die Chancen für Verbesserungen erhöhen.

Fokus No. 5: Auf das Jetzt

Das größte Hindernis für ein erfülltes Leben ist häufig unsere Neigung, entweder an vergangenen Ereignissen festzuhalten oder in die Zukunft zu blicken.

Wir vergessen gern, dass das Leben im Wesentlichen aus dem Hier und Jetzt besteht.

In Wirklichkeit geschieht nichts in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Unser Leben besteht aus einer Abfolge von Augenblicken. Das Bewusstsein des gegenwärtigen Augenblicks ermöglicht es, die Bedeutung dessen zu erkennen, was gerade geschieht, anstatt sich in Gedanken an die Vergangenheit oder die Zukunft zu verlieren.

Vielleicht lohnt es sich, eher die Substanz unserer eigenen Performance in den Blick zu nehmen und sie als Potenzial zu betrachten, das noch nicht ausgeschöpft ist.

So hat es Eckart Tolle formuliert, DER Experte für das Leben im Jetzt.

Die Konzentration auf das Jetzt hat eine transformierende Kraft. Viele scheinbar unüberwindbare Probleme entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als einzelne Herausforderungen, die im Jetzt angegangen werden können. Ganz nach dem Motto: ein Schritt nach dem anderen.

Selbst komplexe Aufgaben, wie die Lösung einer Projektmanagement-Herausforderung, können durch die Konzentration auf die aktuell nötigen Schritte bewältigt werden. Die Fixierung auf künftige Sorgen oder verpasste Gelegenheiten in der Vergangenheit kann den Fortschritt behindern, während die Konzentration auf den gegenwärtigen Moment zu greifbaren Ergebnissen führt.

In der buddhistischen Tradition wird das Phänomen der Konzentration auf die Gegenwart auch als Achtsamkeit bezeichnet. Achtsamkeit ist einer der wichtigsten Bausteine der buddhistischen Lehre. So wird Buddha folgender Satz zugeschrieben:

„Sei dankbar für das, was du hast, dann wirst du mehr haben. Wenn du dich auf das konzentrierst, was dir fehlt, wirst du nie genug haben.“

Achtsamkeit kann dabei zwei Perspektiven einnehmen: Achtsamkeit für die Erinnerung und Achtsamkeit im Handeln.

Achtsamkeit für das Gedächtnis bedeutet, die inneren und äußeren Vorgänge im Hier und Jetzt so bewusst wie möglich wahrzunehmen und sorgfältig im Gedächtnis zu speichern. Hier kommt der Hippocampus ins Spiel. Er liegt tief im Gehirn und hat eine spezialisierte Aufgabe: die Speicherung von Informationen und die Bildung des Langzeitgedächtnisses. Das Problem dabei: „Nur Erlebnisse und Gedanken, die uns in irgendeiner Weise berühren, werden gespeichert", sagt Dr. Michael Nehls. Und sich viel merken zu können, ist sehr wichtig. Denn je mehr wir später erinnern können, desto mehr können wir reflektieren und verstehen, desto mehr können wir richtige Entscheidungen treffen und unseren Horizont erweitern.

Achtsamkeit in Aktion bedeutet, die in der meditativen Reflexion gewonnenen Erkenntnisse im alltäglichen Umgang mit der Umwelt anzuwenden. So schließt sich der Kreis: Je bewusster wir unsere Umgebung im Alltag wahrnehmen, desto mehr Input nehmen wir mit in die Meditation. Je mehr wir dort über uns und andere lernen, desto achtsamer können wir wiederum im Alltag handeln und den Augenblick genießen.

Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

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