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Insights

Premieren als Geheimnis der Lebendigkeit

Autor

Georgiy Michailov

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Oder: Wie Sie Zeit bewusster wahrnehmen und Erinnerungen schaffen

Jetzt geht es doch tatsächlich wieder auf Weihnachten 2023 zu! Kaum haben wir Silvester gefeiert, steht schon das nächste Fest vor der Tür. Geht es nur mir so, oder haben auch Sie das Gefühl, dass das Leben im Alter schneller vergeht?

Diese Frage beschäftigt viele von uns, gerade mit Blick auf die vergangenen Jahre. In unserer Kindheit schien ein Jahr eine endlose Zeitspanne zu sein, während ein Jahr heute, in den späteren Lebensjahren, wie im Flug zu vergehen scheint.

Die Erklärung für dieses Phänomen mag komplex und vor allem subjektiv sein, aber es gibt einige Aspekte, die helfen können, dieses Rätsel zu lösen.

Ein Grund für unser Gefühl, dass die Zeit schneller vergeht, könnte sein, dass sich unser Zeitempfinden verändert hat. Wenn wir aufwachsen, erleben wir das Leben noch besonders intensiv, in Relation zu unserem Alter gesehen. Feiern wir unseren 10. Geburtstag, erscheint uns das neue, elfte Lebensjahr als ein wichtiger Abschnitt, entspricht er doch fast zehn Prozent unseres gesamten bisherigen Lebens. Mit zunehmendem Alter verändert sich diese Relation jedoch rapide. Mit 50 Jahren entspricht ein weiteres Jahr nur noch zwei Prozent unseres bisherigen Lebens. Die Zeit scheint schneller zu vergehen, denn sie wirkt sie im Verhältnis zur bereits verstrichenen Lebenszeit deutlich kleiner.

Ein weiterer Faktor, der zu diesem Phänomen beitragen könnte, ist die zunehmende Routine im Alter. In unserer Jugend sind wir ständig mit neuen Herausforderungen und Abenteuern konfrontiert. Jeder Tag bringt neue Erfahrungen und Eindrücke: die neue Schule, der erste Urlaub, andere Freunde, die erste Liebe.

Mit der Zeit haben wir viele Erfahrungen bereits gemacht. Und wir neigen vermehrt dazu, uns in wiederkehrenden Mustern zu verlieren: Wir studieren, fahren zur Arbeit, essen abends mit der Familie, kümmern uns um Auto, Urlaub, Hobby. Das Leben wird vorhersehbarer und es geschieht tendenziell weniger Aufregendes, weniger wirklich Neues.

Es ist, als ob wir in einer Art „Zeitschleife“ gefangen sind, in der sich die Tage ähneln und wir weniger Gelegenheit haben, außergewöhnliche Momente zu erleben, an die wir uns später erinnern. Dieser Mangel an Abwechslung führt dazu, dass die Zeit schneller zu vergehen scheint, da wir weniger greifbare Meilensteine haben, an denen wir ihr Verstreichen messen können.

Die Erklärung dafür liegt in unserem Gehirn. Genauer gesagt: in unserem Hippocampus. Dieser speichert nur Erinnerungen. Wenn uns nichts mehr emotional tiefer berührt, dürfen wir uns nicht wundern, wenn unser Leben innerlich auf Autopilot verläuft.

Die andere Erklärung liefern Forscher um Professor Adrian Bejan von der Duke University (USA), der sich mit Physik, Thermodynamik sowie Evolution in der Natur befasst und 2019 in einer Publikation für die Cambridge University Press schrieb:

„The rate at which changes in mental images are perceived decreases with age, because of several physical features that change with age: saccades frequency, body size, pathways degradation, etc.”

Will sagen: In der Kindheit transportieren die Nervenbahnen mehr Bilder pro Zeiteinheit. Altert das Gehirn, kann es weniger Bilder von Ereignissen in der gleichen Zeit verarbeiten. Die Tage, Monate und Jahre vergehen gefühlt schneller.

Außerdem ist es wichtig zu wissen, dass unser Zeitempfinden sehr subjektiv ist. Wenn wir jünger sind, sind wir oft ungeduldiger und warten sehnsüchtig auf künftige Ereignisse. Mit zunehmendem Alter entwickeln wir meist eine gelassenere Einstellung, in der wir die Gegenwart mehr schätzen und weniger darauf warten, dass die Zeit vergeht.

Um dem Phänomen, dass die Zeit subjektiv schneller verstreicht, entgegenzuwirken und das Leben im Alter bewusster zu erleben, kann es hilfreich sein, aktiv aus Routinen auszubrechen, Herausforderungen zu suchen und neue Erfahrungen zu machen. Das Erleben von Abenteuern und das Schaffen von Erinnerungen, die das Leben bereichern, können dazu beitragen, die Zeit als weniger flüchtig zu empfinden.

Sehr spannend fand ich in diesem Zusammenhang die Idee der Lebenspremieren. Gefunden habe ich es unter anderem bei Anja Förster in ihrem Buch „Zündstoff für Andersdenkende“.

Der Ansatz ist relativ einfach.

Es geht darum, mindestens einmal im Monat bewusst eine „echte“ Premiere zu "organisieren" und zu erleben.

Solche Premieren können alles Mögliche sein, wichtig ist nur, dass sie zu einer erheblichen Ausschüttung von Dopamin führen. Dopamin löst vor allem dann eine positive Reaktion aus, wenn etwas Unerwartetes, Unbekanntes geschieht, etwas, das möglich, aber überraschend ist. Dies gilt vor allem, wenn es sich um etwas handelt, das wir sehr begehren. Premieren sollten somit einem gewissen Stresstest standhalten, bevor wir sie als solche bezeichnen. Eine neue Pizzasorte auszuprobieren, führt in der Regel nicht zu einer erheblichen Dopamin-Ausschüttung.

Anders ausgedrückt:

Die Rolle des Dopamins ist nicht die Belohnung an sich, sondern die Belohnung für ein überraschendes Ergebnis, das Sie in dieser Form nicht kommen sahen.

Solche „erfreulichen Irrtümer“ erhöhen unseren Dopamin-Level und machen uns für eine Weile glücklicher. Bei einer neuen Pizza muss es schon eine unerwartete Geschmacksexplosion sein, damit der Dopamin-Spiegel in unserem Nervensystem richtig steigt.

Dopamin ist nicht am Besitz interessiert, sondern nur an der Jagd nach dem Spannenderen, Besseren, Neuem.

Premieren sind daher für jeden unerlässlich, der nicht im Alltagstrott untergehen will, nur um sich an Weihnachten zu fragen, wo denn bloß das Jahr geblieben ist.

Der Vorteil dieses Ansatzes der Premieren liegt in der Kumulation einprägsamer Erlebnisse. Wenn wir es schaffen, einmal im Monat eine Premiere zu erleben, ergibt das zwölf Premieren im Jahr, 120 nach zehn Jahren und 360 nach 30 Jahren.

Gerade vor dem Hintergrund zunehmender Ressourcen wie Geld, Zeit und Weisheit im Alter sollten wir deutlich besser in der Lage sein, solche Erlebnisse zu erzeugen. Darüber hinaus bleiben viele Premieren offen für weitere spannende Menschen und Gespräche. Und nicht zuletzt sind just die Menschen besonders interessant, die in ihrem Leben viele Premieren feiern.

Wann war bei Ihnen das letzte Mal das erste Mal?

Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

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