
Warum intelligente Menschen es leichter haben
Oder: Wie der g-Faktor unser Leben prägt
Oder: Warum Durchhaltevermögen so wichtig ist – und wie Sie es aufbauen
Als Angela Duckworth, eine amerikanische Psychologin und Professorin an der Universität of Pennsylvania, sich mit dem Geheimnis besonders erfolgreicher Menschen auseinandersetzte, kam sie zu dem Schluss, dass vor allem eine einzige Eigenschaft alle Erfolgsmuster erklären kann, unabhängig vom beruflichen Kontext. Dabei handelte sich nicht, wie viele vermuten würden, um Intelligenz oder Talent. Die angeborene Intelligenz erklärt nur 25 bis 30 Prozent des Lebenserfolgs in kognitiv relevanten Dimensionen. Wer sich dafür interessiert, kann sich sehr gerne meinen Beitrag „Warum intelligente Menschen es leichter haben“ anschauen. Nein, bei der Eigenschaft, die Duckworth als zentral identifizierte, handelt es sich um das Durchhaltevermögen
In ihrem 2016 erschienen Bestseller „Grit: The Power of Passion and Perseverance” schreibt Duckworth:
Meines Erachtens ist ein Teil unseres Durchhaltevermögens auf die genetische Prädisposition unserer Persönlichkeitsstruktur zurückzuführen. Durch das Raster des Big-Five-Modells betrachtet, würde ich vermuten, dass vor allem Gewissenhaftigkeit – eine der fünf Persönlichkeitsdimensionen, die dieses Modell umfasst – einen großen Anteil des individuellen Durchhaltevermögens erklärt. Beruhigend zu wissen, dass die fünf Dimensionen nur zu rund 50 Prozent genetisch geprägt sind. Denn das bedeutet, dass wir die andere Hälfte jeweils in der eigenen Hand haben. Unser Fokus sollte daher darauf liegen, unser Potenzial zu entfalten. So betont auch Duckworth:
Wir wissen jedoch: Alles, was logisch ist, ist am Ende immer auch bio-logisch und psycho-logisch :)
Beginnen wir mit der Biologie. Geht es um Durchhaltevermögen, fällt mir vor allem Andrew Huberman ein, Professor für Neurobiologie an der Stanford University in Kalifornien. Er hat darauf hingewiesen, dass unser Nervensystem eine bedeutende Rolle spielt, wenn es darum geht, unsere Ziele im Leben zu erreichen. Vor allem hebt er in diesem Zusammenhang den Neurotransmitter Dopamin hervor:
Das Interessanteste dabei ist für mich, dass uns der Körper nicht nur für das Erreichen eines Ziels mit Dopamin belohnt, sondern bereits auf dem Weg dorthin – und zwar für die Bewegung, die wir als sinnvoll erachten, um unser Ziel zu erreichen. Das ist ein absoluter Game Changer im Umgang mit Sport (oder auch Arbeit). Es bedeutet: Schon die Überwindung der Unlust, schon die Bewegung selbst und das Wissen, sich auf dem Weg zu einem (womöglich weit entfernten) Ziel zu befinden, kann zu einem Ausstoß an Dopamin führen. Wir werden somit nicht erst belohnt, wenn wir 20 Kilo abgenommen haben und körperlich fitter sind, sondern bereits während der Bewegung, durch das Training, durch unsere Bemühungen.
Wer dazu mehr erfahren will, dem empfehle ich meinen Beitrag „Atomare Systeme fürs effektive Leben“. Auf jeden Fall ist es wichtig, auf die innere Belohnung abzustellen, nicht auf den Beifall von außen!
Wen dieser Gedanke überzeugt, der kann ihn auf den Punkt zu bringen, indem er eine bekannte buddhistische Weisheit leicht paraphrasiert:
Entscheidend ist vor allem die Bewegung. Insbesondere in Situationen, in denen man Stress ausgesetzt ist oder gar Angst verspürt. In solchen Fällen ist die Flucht nach vorne die beste Lösung, sagt die Wissenschaft. Mehr dazu finden Sie in Neurotransmitter und unser Erfolg im Leben.
Kommen wir nun zur Psychologie. Ein Ansatz, der uns dort helfen kann, mehr Fokus auf unser Durchhaltevermögen zu richten und dieses zu stärken, ist die Idee vom „Growth Mindset“, die vor einigen Jahren durch Carol Dweck populär gemacht wurde. Sie ist – wie Huberman – Professorin in Stanford. Dweck konnte in mehreren Experimenten zeigen, dass Menschen, die über ein Growth Mindset verfügten, deutlich zielorientierter und vor allem effektiver waren. Sie ist überzeugt:
In dieser Logik ist unsere innere Einstellung mindestens zu 50 Prozent entscheidend für die Frage, wie erfolgreich wir im Leben werden. Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, warum das so Offensichtliche so schwer umzusetzen ist. Wurden wir vielleicht schon in der Kindheit falsch gelobt? Dweck schreibt:
Als Fixed Mindset bezeichnet Dweck ein Denken, das annimmt, dass primär Talent respektive Intelligenz das Verhalten eines Menschen und seinen Erfolg determiniert – und nach dieser Logik hat, wer in der Lotterie des Lebens eher schlecht abgeschnitten hat, auch wenig Aussicht auf Erfolg. Das Fixed Mindset betont somit stärker das, was wir mitbekommen haben, das Growth Mindset stärker das, was wir daraus machen. Mehr noch: DASS wir etwas daraus machen.
Je nachdem, welches Mindset wir (unbewusst) haben, ergeben sich große Unterschiede, wie wir auf das Leben, auf andere und auf uns selbst blicken. Je nach Perspektive scheint uns Erfolg unerreichbar – oder eine Möglichkeit. Nochmal Dweck:
Wer außergewöhnliche, erfolgreiche Menschen zu Helden verklärt, der schreibt die Gründe dafür, selbst ein eher gewöhnliches Leben zu führen, den Gegebenheiten zu, den Fähigkeiten, die Mutter Natur ihm (nicht) geschenkt hat. Nun – natürlich sind Menschen unterschiedlich schlau, schnell oder groß. Zugleich entlastet ein Fixed Mindset aber von der Verantwortung fürs eigene Leben, ja von der Anstrengung. Wer die Bedeutung des Durchhaltevermögens in den Hintergrund rückt, der hat gute Gründe, sich gar nicht erst groß zu bemühen. Und wenn er sich bemüht und Rückschläge erlebt, liegt der Grund bereits auf der Hand: War ja klar, dass es so kommen musste!
Menschen mit einem Growth Mindset hingegen genießen den Prozess, den Weg zum Ziel – und betrachten die Rückschläge auf ihrem Weg nur als Durchgangsstationen zum Erfolg. So schreibt Dweck:
Ach ja, und nicht zu vergessen: Auf dem Weg lockt die Belohnung durch Dopamin! J
Was mich an der Idee des Growth Mindset besonders beeindruckt, ist die neue, bewusst andere Wahrnehmung von Misserfolgen. So empfiehlt Carol Dweck, in diesem Fall einfach nur ein Wort zu ergänzen – und schon scheint die Anwendung des Growth Mindset einfach. Es geht um das kleine, aber mächtige Wort „noch“.
Hat etwas nicht funktioniert, reicht es, dieses Wort zu ergänzen, um zu erfahren, dass es „noch nicht“ funktioniert hat. Schon sieht die Welt anders aus. Schon wird aus einem Misserfolg eine Erfahrung, eine Hilfe, ein Sprungbrett.
Im Grunde geht es beim Growth Mindset um ein Narrativ. Um die Frage, welche Geschichte wir erzählen, uns selbst und einander. Und ich stimme Ralf Lanwehr zu, der jüngst in unserem Interview Zwischen Führungs-Esoterik und -Evidenz betont hat, dass es beim Growth Mindset um ein sehr gutes Narrativ geht.
Schon der große Erfinder Thomas Edison wusste, dass Narrative wichtig sind. Er scheiterte sehr häufig, doch das hielt ihn nicht davon ab, dranzubleiben. Zum Ausdruck kommt das in einem berühmten Satz, der ihm (in unterschiedlichen Varianten) zugeschrieben wird:
Auch in der Kindererziehung ist dieses Narrativ essenziell. Gehen wir weg vom Loben der persönlichen Eigenschaften, hin zum Loben der Beharrlichkeit! Haben die Kinder etwas noch nicht geschafft, haben sie einfach noch nicht ausreichend trainiert. Ein Besuch im „mentalen Fitnessstudio“ – genaueres dazu unter Drei Wege, sein Selbstwertgefühl zu steigern – kann da sehr hilfreich sein.
Selbst für multinationale Konzerne mit mehreren Tausend Mitarbeitern kann dieser Ansatz von Nutzen sein. In meinem Kurs an der London Business School haben wir vor einiger Zeit die spektakuläre Transformation von Microsoft untersucht, die CEO Satya Nadella in den vergangenen Jahren erst eingeleitet und dann auch erfolgreich vollzogen hat. Er wusste, dass er nur durch die Veränderung der Unternehmenskultur einen nachhaltigen Effekt erreichen würde. Dabei ging es Nadella nicht um Lippenbekenntnisse, sondern um die Veränderung der Wahrnehmungsfilter, mit denen die Organisation ihre eigenen Werte und ihr eigenes Verhalten betrachtete.
Anfang 2015 hatte seine Frau ihm das Buch „Mindset“ von Carol Dweck geschenkt. Dessen wesentliche Botschaft, dass ein Growth Mindset – also der Glaube an die Möglichkeit der Selbstentwicklung, unabhängig von „naturgegebenen“ Begabungen – auf lange Sicht besonders erfolgreich macht, beindruckte Nadella sehr. Ebenso die Erkenntnis, dass das Gegenteil – das Fixed Mindset – einem Erfolg besonders hinderlich war.
Nadella wurde klar: Menschen mit einem #GrowthMindset nehmen Fehler als notwendige Lernerfahrungen auf dem Weg zum Ziel wahr – und eben nicht als peinliches persönliches Versagen. Das ist ein maßgeblicher Unterschied. Und so wollte Nadella der Microsoft-Organisation auch eine andere Haltung mitgeben:
Bei der Implementierung dieser Kultur – angesichts von 128.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei Amtsantritt kein ganz leichtes Unterfangen – setzten Nadella & Co unter anderem auf eine Strategie der „Nudges“, der vielen kleinen Anstöße, sowie der kontinuierlichen Wiederholungen. So fragten Microsoft-Manager fortan zum Beispiel nach jedem Meeting die Teilnehmer, ob es sich dabei um ein Growth- oder Fixed-Mindset-Meeting gehandelt habe – und warum. Auch Nadella selbst präsentierte regelmäßig Erkenntnisse aus seinen wichtigsten Erkenntnissen der jüngsten Zeit.
So trug die Idee ihren Teil dazu bei, Microsoft wieder zu einem höchst erfolgreichen Unternehmen zu machen. Heute beschäftigt der Konzern 221.000 Mitarbeiter, der Umsatz hat sich mehr als verdoppelt auf zuletzt 198 Milliarden Dollar – und die Marktkapitalisierung hat sich sogar vervielfacht. Aktuell ist Microsoft etwa 1,7 Billionen Dollar wert – und wird damit in den USA nur noch von Apple übertroffen.
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