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Insights

Wie nur 0,0005 Prozent des Gehirns unsere Existenz prägen!

Autor

Georgiy Michailov

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Oder: Warum Dopamin das Schicksal der Menschheit bestimmt

Was treibt uns in diesem Leben eigentlich an? Ist es vielleicht die Liebe?

„Liebe ist ein Bedürfnis, eine Sehnsucht, ein Streben nach dem größten Preis des Lebens.“ 

So sieht es Helen Fisher, eine der führenden Anthropologinnen weltweit und Autorin mehrerer Bücher über Liebe & Partnerschaft. Wenn jedoch eine der führenden Expertinnen solche Aussagen aufstellt, kommt die Frage auf, warum diese Liebe mit der Zeit verblasst und die „Flitterwochen“ nicht ewig andauern. 

Die Erklärung dafür finden wir in einem sehr kleinen Neurotransmitter, der nur 0,0005 Prozent der Gehirnzellen ausmacht: Dopamin. Daniel Lieberman, Professor für die Evolutionsbiologie des Menschen an der Harvard University, beschäftigt sich mit diesem Botenstoff in seinem sehr empfehlenswerten Bestseller „The Molecule of More: How a Single Chemical in Your Brain Drives Love, Sex, and Creativity – and Will Determine the Fate of the Human Race“.

In den Sechziger- bzw. Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ging die Wissenschaft noch davon aus, dass Dopamin die Rolle eines „Lustmoleküls“ oder „Glückshormons“ im Gehirn einnimmt. Moderne Erkenntnisse deuten jedoch darauf hin, dass Dopamin eine positive Reaktion insbesondere dann auslöst, wenn etwas Unerwartetes, Unbekanntes geschieht, etwas, das möglich war, aber doch überraschend kommt. Die Betonung liegt dabei auf „Unerwartetes“ und „Unbekanntes“ – vor allem wenn es um etwas geht, das wir sehr begehren. 

Anders gesagt: Die Rolle des Dopamins ist nicht nur die Belohnung per se, sondern die Belohnung für ein überraschendes Ergebnis, das man in der Form nicht kommen sah. Solche „erfreulichen Irrtümer“ erhöhen unser Dopamin-Level und machen uns für eine Weile glücklicher. Ein simples Beispiel: Streben wir eine Gehaltserhöhung von zehn Prozent an und bekommen dann 15 Prozent, wird bei uns heftig Dopamin ausgeschüttet. Das kann uns in dem Moment sogar euphorisieren. 

Das Problem ist allerdings, wie Lieberman betont, dass genau darin auch die Schwäche der Dopamin-Logik liegt: 

„Dopamingesteuerte Erregung dauert nicht ewig, weil aus der Zukunft schließlich Gegenwart wird.“ 

Dopamin hat kein Interesse am Besitz, sondern nur am Jagen nach etwas immer spannenderem, immer besserem Neuen. 

„From dopamine’s point of view, having things is uninteresting. It’s only getting things that matters. If you live under a bridge, dopamine makes you want a tent. If you live in a tent, dopamine makes you want a house. If you live in the most expensive mansion in the world, dopamine makes you want a castle on the moon. Dopamine has no standard for good, and seeks no finish line. The dopamine circuits in the brain can be stimulated only by the possibility of whatever is shiny and new, never mind how perfect things are at the moment. The dopamine motto is ‚More‘.”

Aus diesem Grund verlieren wir auch das oben erwähnte Gefühl der Liebe respektive der Verliebtheit: Irgendwann ist das schöne Unbekannte vielleicht immer noch schön, aber bekannt – und damit vorhersehbar.

Der deutsche Verhaltenspsychologe und Coach Jens Corssen erklärt das Phänomen mit den Worten, dass Verliebtheit ein Gefühl, die Liebe dagegen eine Haltung sei. Er teilt die Sicht von Helen Fisher, dass Verliebtheit nach einigen Monaten schwindet und dann etwas anderes an ihre Stelle treten muss. Fisher spricht von einer Haltung, die sie kameradschaftliche Liebe nennt. 

Diese Liebe basiert nicht auf Dopamin, sondern auf den sogenannten Hier-und-Jetzt-Molekülen: auf Serotonin und Oxytocin, auf Endorphinen und Endocannabinoiden. Diese Moleküle lassen uns nicht die Freude über das unerwartete Neue genießen, sondern die aktuellen Sinneseindrücke. Wenn das Jagen nach einer neuen, noch spannenderen Beziehung nicht wieder von vorne beginnen soll, müssen diese Moleküle irgendwann das Dopamin, das Molekül der „Verliebtheit“, ersetzen und für die Zufriedenheit mit der bestehenden Situation sorgen.

Hat man einmal die Bedeutung dieser Hormone und ihren Effekt auf unser Verhalten herausgearbeitet, stellt sich nur eine Frage: Wer steuert eigentlich unser Gehirn – ich oder mein Hormonsystem!?

Andrew Huberman, Professor der Neurowissenschaften an der Stanford University in Kalifornien, bringt dieses Problem wie folgt auf den Punkt: 

„You cannot control the mind with the mind.”

So eine Botschaft kann einen frustrieren. Andererseits erlaubt mir dieses Wissen auch ein bewussteres Verständnis, welche spezifischen Faktoren meine Entscheidungsfindung beeinflussen, und es liefert mir Erklärungen dafür, warum wir so handeln, wie wir handeln. 

Eins müssen wir dabei verstehen: Ohne Dopamin würden wir morgens nicht einmal aus dem Bett kommen, da wir keinen Trieb, kein Verlangen nach Mehr hätten. Das aber ist entscheidend für unser Überleben sowie die Fortpflanzung der Menschheit. So gesehen, dürfen wir nicht zur absoluten Ruhe kommen, denn dann wäre unser Überlebensmodus praktisch abgeschaltet. 

„To travel hopefully is better than to arrive is the motto of the dopamine enthusiast”,

sagt Lieberman.

Dopamin hat seine Tücken, aber es ist eben auch der maßgebliche Treiber des Fortschritts, denn dabei geht es in aller Regel darum, mehr zu erlangen – mehr Macht, mehr Konsum, mehr von mehr! Dabei muss ich nicht mal von einem aktuellen Eroberungsfeldzug einzelner Mächtiger reden, die im Besitz von Atomwaffen sind. Dopamin kennt kein Gewissen, keine Moral! Treffend und wichtig ist aber die Erkenntnis: Dieses Verlangen nach MEHR zu zähmen, ist für die Menschheit eine Herausforderung von essenzieller Bedeutung.

Wenn wir dieses Verlangen nicht zu kontrollieren lernen, „leben“ wir nur in der Zukunft oder in vermeintlich verpassten Chancen. Nehmen wir zum Beispiel die Kaufreue. Dopamin hat uns eingeredet, dass wir dieses Auto, diese Uhr oder genau diese Tasche unbedingt für unser Glück brauchen. Nur damit wir nach dem Kauf ziemlich schnell feststellen, dass dieses Versprechen nicht von langer Dauer ist.

„Die Begierde erlischt im Moment ihrer Erfüllung“,

soll schon der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan gesagt haben. Die Hier-und-Jetzt-Neurotransmitter können den Dopamin-Kick im Fall solcher Käufe einfach nicht ausreichend kompensieren.  

Was ist die potenzielle Reaktion auf Kaufreue? Einige entscheiden sich, noch mehr zu kaufen, um den nächsten Dopamin-Kick zu jagen, andere beschließen, weniger zu kaufen, um weniger Dopamin-Abstürze zu erleiden. Der aktivere Weg ist sicher, aus dem Modus des von Dopamin gesteuerten „Verlangens“ in den von Hier-und-Jetzt-Molekülen gesteuerten Modus des „Mögens“ zu wechseln. 

Viktor Frankl, der österreichische Sinnphilosoph und Begründer der Logotherapie, sagte einst:

„Ich muss mir von mir selbst nicht alles gefallen lassen.“

Leider ist das System des Verlangens auch evolutionsbedingt mächtiger als das des Mögens. Um ein gutes Leben zu führen, müssen wir jedoch dieses Gleichgewicht wahren. Die Evolution kannte das Problem dieser so schwer zu erlangenden Balance und hat uns als Abhilfe ein weiteres System geschenkt. Denn was ist so mächtig, dass es Dopamin in Schach halten kann? Das Dopamin-Kontrollsystem! Gemeinhin auch bekannt als: Vernunft. 

Schon William James, der im 19. Jahrhundert Professor für Philosophie an der Harvard University war und als Begründer der Psychologie in den USA gilt, stellte fest:

„Triebkraft ohne Vernunft ist nicht genug und Vernunft ohne Triebkraft ein schlechter Notbehelf.“

Dopamin muss zukunftsgerichtet gezähmt werden, wenn der Mensch über das pure Verlangen hinaus etwas planen und mit hoher Beharrlichkeit umsetzen können möchte. Wir müssen dabei glauben, dass wir erfolgreich sein können, bevor wir tatsächlich fähig sind, erfolgreich zu sein. 

Auf diesen Aspekt bin ich bereits bei den „Thoughts for Leaders“ #10 Neurotransmitter und unser Erfolg im Leben eingegangen. Darin ging es um die erstaunliche Wirkung, wenn jemand, der bisher erfolglos war, auf einmal gewinnt, und sei es durch einen Schubs von außen – ein Effekt, den Hailan Hu, Professorin für Neurowissenschaftlichen in Hangzhou, China, erforscht hat. Wir Laien (und vor allem Gründer) kennen ihn eher aus einem beliebten Spruch:

„Fake it ‘til you make it.”

Wissenschaftler nennen diese Überzeugung Selbstwirksamkeit. Mit ihr können wir Meisterschaft erlangen oder zumindest die Fähigkeit, in einer spezifischen Dimension die größtmögliche Belohnung herauszuholen. Dabei pressen wir aus den bestehenden Ressourcen das Maximale an Dopamin heraus. Befinden wir uns in solchen Zuständen, sind wir davon überzeugt, alles im Griff zu haben und nicht mehr von äußeren Faktoren getrieben zu sein. 

Interessante Statistik zum Schluss: 72 Prozent der Deutschen gehen davon aus, dass der Erfolg im Leben von Kräften bestimmt wird, die wir nicht beeinflussen können. In den USA sagen das nur rund 35 Prozent. Die Amerikaner glauben offenbar stärker daran, selbst Herr über ihr Schicksal zu sein. 

In diesem Kontext war es mir eine Riesenfreude, mit Dr. Reinhard K. Sprenger – dem deutschen Managementexperten – ein sehr spannendes Interview im Rahmen unserer neuen Podcastreihe SMP LeaderTalks zu führen. In unserem Gespräch ging es unter anderem um Eigenverantwortung und eine Zunahme in der Zahl der Menschen, die eine Opferhaltung einnehmen. Hier finden Sie den Link zu allen relevanten Plattformen: 

LeaderTalks

Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

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