Logo

Insights

Zuversicht versus Verzweiflung

Autor

Georgiy Michailov

Teilen

oder: Warum es der Welt heute besser geht als viele glauben

Als ich mich kürzlich auf den Podcast mit dem Bestsellerautor, Wissenschaftskabarettist und Physiker Vince Ebert vorbereitete, um über seinen aktuellen sehr empfehlenswerten Bestseller „Lichtblick statt Blackout“ zu sprechen, stiegen in mir viele meiner Diskussionen hoch, die ich mit anderen über den katastrophalen Zustand der Welt geführt habe. Vielleicht liegt es an meiner usbekischen Herkunft, vielleicht an meiner Ausbildung als Volkswirt der Freiburger Schule, dass ich in solchen Diskussionen immer wieder den aktuellen Wohlstand der Welt „verteidige“. Dieser hat über einen Zeitraum von 150 Jahren so stetig wie deutlich zugenommen. Auch weltweit, zumindest in den vergangenen Jahrzehnten und vor COVID. 

In den erwähnten Diskussionen behaupten hochgebildete, intelligente Menschen regelmäßig aus voller Überzeugung, dass die Welt immer ungerechter, ärmer sowie durch Naturkatastrophen tödlicher wird. Diese Wahrnehmung bestätigte auch Hans Rosling, Gesundheitsökonom, Bestsellerautor und Berater der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie des UN-Kinderhilfswerks UNICEF. In seinen Studien in 14 Industrieländern, über die er im sehr empfehlenswerten, posthum erschienenen Bestseller „Factfulness“ schrieb, fand er heraus, dass die Menschen in einer überwiegenden Mehrheit die Welt tiefschwarz sehen. 

Rosling erklärte dieses Phänomen mit unseren zehn Instinkten, die uns bei der Wahrnehmung der Welt leiten. Einer dieser Instinkte ist „Negativität“, die zu einem klaren Bias zugunsten schlechter Botschaften führt. Dies wissen vor allem unsere Medien zu nutzen, die bekanntlich gerne einer Losung folgen: 

„Only bad news are good news.“

Evolutionär ergibt dies Sinn – Stichwort Instinkt. Als Spezies haben wir schließlich nur deswegen überlebt, weil wir aufgepasst haben, wenn das Raubtier, der Feind oder die Naturkatastrophe kam. Wer stets nur den guten Nachrichten vertraut, wird gefressen, überfallen oder verschüttet. 

Wichtig ist mir nur, dass wir uns dieser Verzerrung bewusst sind und weder in Schwarz noch in Weiß, sondern in Grautönen denken. Dies gilt gerade auch für den Zustand der Welt. Zwar ist einiges in der Tat schlechter geworden. Aber längst nicht alles. Vieles hat sich über die letzten Jahrzehnte und Jahrzehnte auch verbessert.

Bevor ich in Details einsteige, um das zu illustrieren, möchte ich noch gerne eine weitere Botschaft von Hans Rosling erwähnen, die ich bei Vince Ebert entliehen habe und als sehr hilfreich empfinde. Sie lautet: „Wenn Sie eine Meinung zu einem bestimmten Thema haben, fragen Sie sich stets: 

„Welche Art von Beweis könnte mich davon überzeugen, meine Meinung zu ändern?“ 

Falls Ihre Antwort lautet: ›Es ist kein Beweis denkbar, der mich vom Gegenteil überzeugen kann‹ – dann bedeutet das, dass Sie faktengestützte Erkenntnisse ablehnen.“ 

Für mich ist diese Frage auch ein probates Mittel, um zu schauen, ob eine Diskussion lohnt. Denn wer die erwähnte Antwort wählt, der verkündet Glaubensbekenntnisse, an denen er (oder sie) nicht zweifelt. In dem Fall handelt es sich vielleicht um ein nettes, interessantes Gespräch, aber ganz gewiss nicht um eine Diskussion, einen Austausch sachlicher Argumente. 

Wenden wir uns nun ein paar Fakten zu. Ich ziehe dafür seriöse, möglichst wertfreie Quellen heran und stütze mich im Wesentlichen auf die Datenbank des deutschen Wissenschaftlers Max Roser, der inzwischen an der University of Oxford arbeitet und seit 2011 die Website Our World in Data betreibt. Mit seinem Team erforscht er die Geschichte und Entwicklung der menschlichen Lebensbedingungen weltweit. 

Interessant ist dabei vor allem, die Entwicklung der Menschheit entlang der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen zu betrachten. Im September 2015 nahmen alle Mitgliedsstaaten der UN eine aktualisierte Agenda zur nachhaltigen Entwicklung der Welt bis 2030 an. Kern dieser Agenda sind insgesamt 17 Ziele, unter ihnen ein Ende der Armut, die Abschaffung des Hungers, Gesundheit, hochwertige Bildung, die Gleichheit der Geschlechter, Arbeit, sauberes Wasser, bezahlbare, saubere Energie, der Schutz des Klimas, Frieden und einiges mehr. Wer es näher wissen will, hier die offizielle Website: https://sdgs.un.org/goals

Schauen wir uns nun zum Beispiel das erste Ziel an, die Abschaffung der Armut, stellen wir fest, dass die Menschheit in dieser Frage in den vergangenen 150 Jahren schon faszinierend weit gekommen ist. So hat sich der Anteil der Menschen, die in absoluter Armut leben (definiert als Einkommen von weniger als 1,90 Dollar pro Tag) und somit ihre Basisbedürfnisse nicht befriedigen können, deutlich reduziert. 

Konkret heißt das: Im Jahr 1900 betrug der Anteil von Menschen in absoluter Armut 63,9 Prozent, und selbst in den Sechzigerjahren fiel noch immer rund die Hälfte der Weltbevölkerung in diese Kategorie.

Bis zum Jahr 2018 sank der Anteil der Armen dann aber auf rund 8,6 Prozent – ein Rückgang um fast 87 Prozent.

ourworldindata.org

Allein seit dem Jahr 2000 ist diese Quote um 67,5 Prozent gesunken. 

Aktuell leben immer noch 800 Millionen Menschen in extremer Armut. Das ist bedrückend genug. Trotzdem ist es eine Tatsache, dass von den rund acht Milliarden Menschen, die es inzwischen auf der Welt gibt, mehr als sieben Milliarden nicht in extremer Armut leben. Anders gesagt: Heute leben, verglichen mit 1950, rund sechs Milliarden mehr Menschen auf der Welt nicht in extremer Armut. 

Hier ein Snapshot der interaktiven Grafik

 

… sowie ein Link zu einer verwandten Darstellung mit anderen Quellen und anderen Gewichtungen.

Tausende Jahre lang war Armut der Normalzustand der Menschheit, fast alle lebten unter ähnlich armseligen Umständen.

Mehr als 90 Prozent, die nicht in extremer Armut leben – die Zustände heute sind dagegen ein enormer Fortschritt. Vor zweihundert Jahren war das Verhältnis noch genau umgekehrt zu heute: Damals lebten 90 Prozent in extremer Armut. Dass die Zahl der Menschen in Armut im 20. Jahrhundert auch nach absoluten Zahlen stark anstieg, hing vor allem mit dem enormen Bevölkerungswachstum zusammen. Anfang der Achtzigerjahre und Anfang der Neunzigerjahre erreichte dieser Wert seinen Höhepunkt, bei rund 1,9 Milliarden Menschen. Doch seit 30 Jahren fällt die Armut selbst nach absoluten Zahlen. Hier ein Snapshot der interaktiven Grafik:

Ein anderes Beispiel: die Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung. Diese hat zuletzt wegen Covid-19 einen kleinen Knick erlebt, wird aber wohl trotz solcher temporären Widrigkeiten weiter ansteigen. So legte sie global von etwas mehr als 30 Jahren im Jahr 1900 auf heute mehr als 70 Jahre zu. Gründe dafür sind eine bessere Ernährung, weniger Rauchende und eine geringere Kindersterblichkeit. Hier eine Übersicht für die Welt und Länder wie Japan, UK oder Indien (samt Link). 

Stichwort Kindersterblichkeit: Diese hat sich, gemessen in absoluten Zahlen, trotz des enormen weltweiten Bevölkerungswachstums in den vergangenen 30 Jahren mehr als halbiert – von global 12,4 Millionen im Jahr 1990 auf rund 5 Millionen im Jahr 2020. Auch die Betrachtung einzelner Länder (wie Sierra Leone, Afghanistan oder Indien) über einen längeren Zeitraum zeigt, wie deutlich ausgeprägt dieser Rückgang ist, in diesem Fall in relativen Zahlen: 

Auch sehr positiv ist die Entwicklung im weltweiten Kampf mit HIV/AIDS. Anfang der 21. Jahrhunderts starben jährlich fast zwei Millionen Menschen daran, bis 2019 hat sich diese Zahl dann mehr als halbiert. Ähnlich sieht es gemessen am Anteil der Infizierten an allen Verstorbenen aus, eine Quote, die um das Jahr 2000 herum in mehreren afrikanischen Ländern teils horrende Werte erreichte – dort seit einiger Zeit aber sichtbar sinkt (wie auch weltweit).

Anderes Thema: das Bildungsniveau. Dieses ist weltweit massiv angestiegen.

So waren im Jahr 1900 noch rund 79 Prozent aller Menschen weltweit Analphabeten, im Jahr 2016 hingegen lag diese Zahl bei nur noch 14 Prozent

siehe diese (interaktive) Grafik. Ein massiver Erfolg! 

Spannende Fußnote:

Mehr als die Hälfte aller aktuellen 400 Superreichen sind dank eines „Aufstiegs durch Bildung“ zu Milliardären geworden.

Laut Forbes sind rund 67 Prozent der 400 reichsten Menschen der Welt Selfmade-Milliardärinnen und Milliardäre. In dieser Gruppe wiederum sind fast ebenso viele in Armut aufgewachsen (10,4 Prozent) wie aus der Oberschicht stammen (11,5 Prozent). Fast jeder Fünfte kommt aus der Arbeiterklasse. Mit 59,5 Prozent bringt die Mittelschicht mit Abstand die meisten extrem erfolgreichen Aufsteiger hervor.

Kommen wir zu nun einem ganz anderen Aspekt. In seinem 2011 erschienenen Buch „The Better Angels of Our Nature: Why Violence Has Declined“ zeigte Steven Pinker, Professor für Psychologie an der Harvard University und einer der bedeuteten Intellektuellen unserer Zeit, dass wir Menschen deutlich friedlicher geworden sind. So schreibt er:

„Der Rückgang der Gewalt dürfte die bedeutsamste und am wenigsten gewürdigte Entwicklung in der Geschichte unserer Spezies sein.“ 

Eine Feststellung, die von den Zahlen auf Our World in Data unterstrichen wird: Ihnen zufolge ist die jährliche Summe der Toten, die auf Konflikte unter Staatsbeteiligung zurückzuführen sind, heute deutlich niedriger als zum Beispiel in den Siebziger- oder Achtzigerjahren (wenn auch etwas höher als Anfang dieses Jahrhunderts).

But, to end on a sad note: Was tatsächlich deutlich ansteigt, das sind die CO2-Emissionen, die zu einer Erwärmung der Erde und damit zum Klimawandel führen. Zwar ist es zum Beispiel Europa gelungen, trotz Wirtschaftswachstums die eigenen CO2-Emissionen einzubremsen. Dafür steigen die Werte in anderen Ländern, insbesondere in Asien, massiv an – und damit auch die Summe aller Emissionen. 

Aber das ist eine andere Geschichte, die ich versuchen werde, im nächsten Beitrag der „Thoughts for Leaders“ etwas näher zu beleuchten.  

PS: Erlauben Sie mir noch etwas Werbung in eigener Sache :) Vor 8 Monaten haben wir unseren (bereits erwähnten) Podcast „SMP LeaderTalks" in Audio- und Videoversion eingeführt – mit großem Erfolg! Dank exzellenter Gäste wie Dr. Reinhard K. Sprenger, Prof. Dr. Volker Busch oder Harvard-Professor Felix Oberholzer-Gee gehört er in Deutschland inzwischen zu den topplatzierten Podcasts in der Kategorie „Management“. 

Es wäre uns eine große Freude, wenn Sie auch diesem Format Ihre Aufmerksamkeit schenken und uns dadurch weiter unterstützen würden. Sie finden den Podcast auf allen einschlägigen Plattformen, auf YouTube oder einfach auch hier:

LeadeTalks

Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

Mehr erfahren