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Chef Sache Marke - Interview mit Georgiy Michailov

Autor

Georgiy Michailov

Jörg Bürkle

Kategorien

Business-Blog

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Das Interview von Jörg Bürkle mit Georgiy Michailov zum Thema erfolgreiche Wertabschöpfung im Rahmen des Buches „CHEF SACHE MARKE“.

„Die Zahlungsbereitschaft der Kunden abschöpfen“

Bürkle: Mit dem Thema Geschäftsmodelle, mit deren Bewertung und erfolgreicher Ausrichtung haben Sie sich intensiv beschäftigt. Welche Erkenntnisse haben Sie daraus gewonnen?

Michailov: Beschäftigt man sich mit der Geschäftstätigkeit von Unternehmen – noch dazu, wenn diese sich in einer wirtschaftlichen Schieflage befinden -, so sind vor allem drei Fragen überzeugend zu beantworten: erstens wie das Unternehmen konkret funktioniert, zweitens welche tatsächliche marktdifferenzierende Besonderheit es auszeichnet, und drittens wie es sicherstellt, dass sein Wirtschaften wieder zu nachhaltig profitablen Ergebnissen führen kann. Auf alle Fragen sollte das in der Praxis einzusetzende Geschäftsmodell- Design aussagekräftige Antworten geben! 
Als Restrukturierungs- und Turnaroundberater haben wir uns in den letzten Jahrzehnten intensiv mit dem Management und auch Missmanagement von erfolgreichen und weniger erfolgreichen Geschäftsmodellen auseinandergesetzt. Aus der Analyse von vielen Praxisprojekten haben sich dabei wenige wesentliche strategische Wertdimensionen herauskristallisiert, die in einen Wertefluss verflochten sind. Es zeigt sich dabei, dass Unternehmen, die in eine wirtschaftliche Krise geraten sind, mindestens eine der strategischen Wertdimensionen nicht oder nicht mehr beherrschen. Und: Je mehr Wertdimensionen sie nicht mehr beherrschen, desto tiefgreifender ist der Krisenzustand.

Bürkle: Um welche Wertdimensionen geht es da? Welche Wertdimensionen muss ein Unternehmen beherrschen, um nicht in eine Unternehmenskrise zu geraten? 

Michailov: Der operative Restrukturierungserfolg von Geschäftsmodellen ist sehr transparent und auch leicht messbar. Dementsprechend konzentrieren wir uns in unserer Arbeit auf die Realisierung von Wert. Theoretische Ausführungen helfen hier nicht! Das heißt nun aber nicht, dass die Strategie eines Unternehmens unwichtig wäre – ganz im Gegenteil! 
Nach unserem Verständnis sollte die Unternehmensstrategie die klar definierte Ausrichtung des Unternehmens auf Basis festgelegter quantitativer und auch qualitativer Zielwerte benennen, also eine Wertstrategie sein. 
Entscheidend für den Unternehmenserfolg und damit für die Beurteilung der Qualität einer Unternehmensstrategie ist damit die Frage, mithilfe welcher operativen Dimensionen tagtäglich Wert geschaffen oder aber – leider allzu häufig – vernichtet wird. Diese Dimensionen stellen die fünf Elemente unseres wertorientierten Geschäftsmodell-Ansatzes dar: erstens eine unternehmensspezifische und marktdifferenzierende Wertpositionierung, zweitens ein daraus stringent abgeleitetes Wertangebot, drittens eine das Wertangebot gleichermaßen effektiv wie effizient sicherstellende Wertschöpfung, viertens eine ebenso innovative wie profitable Wertabschöpfung und fünftens die Wertdisziplin, mit der die Führungspersonen und Führungsinstrumente die vorigen Elemente eins bis vier aktiv managen.

Bürkle: Greifen wir die Dimension der Wertabschöpfung heraus. Was bedeutet dieser Begriff und wie ist der Zusammenhang zum sicherlich bekannteren Begriff Wertschöpfung?

Michailov: Die Wertabschöpfung ist die monetäre Perspektive eines Wertangebotes für die jeweiligen Kundensegmente. Sie hat die optimale Abschöpfung der Zahlungsbereitschaft der Kunden zum Ziel. Während die Stückzahlen durch die Wertschöpfung generiert werden, muss die Wertabschöpfung dafür sorgen, dass daraus ein profitabler Umsatz als Folge richtig bestimmter Preispolitik wird.

Bürkle: Die Kunst liegt also darin, den richtigen Preis zu finden?

Michailov: Genau. Häufig wird die Preisbildung wenn nicht vernachlässigt, so doch zumindest sehr einfach gehandhabt. Man schaut, was das Produkt in der Herstellung kostet, welche Preise die Wettbewerber verlangen und legt einen eigenen Preis fest. Damit ist es jedoch wie mit dem Roulette-Spiel: Mal liegt man über der Zahlungsbereitschaft der Kunden und verliert Menge, mal liegt man unter der Zahlungsbereitschaft und verschenkt die Marge. Es ist eine der herausforderndsten Aufgaben in der Geschäftswelt, diesen Mehrwert und somit die entsprechende Zahlungsbereitschaft tatsächlich zu bestimmen. Im Idealfall entspricht ein optimaler Preis der maximalen Zahlungsbereitschaft eines Kunden. Dabei wird häufig vergessen, dass die Zahlungsbereitschaft eines Kunden per se nichts mit den Herstellkosten eines Produktes zu tun hat, vor allem wenn es sich um eine Marke und nicht um ein austauschbares Commodity-Produkt handelt. In den meisten Unternehmen, vor allem im Mittelstand, wird die Preisfindung immer noch auf Basis der Kostenkalkulation durch einen Cost-Plus-Ansatz oder in Abhängigkeit des Wettbewerbsumfeldes gesteuert. Leider funktioniert die richtige Wertabschöpfung mit diesen Ansätzen nicht. Sonst würden markengetriebene Unternehmen wie Apple, Harley Davidson oder Lindt nicht Preise für ihre Produkte aufrufen können, mit denen sie bis zu 30 Prozent Rendite einfahren.

Bürkle: Wie kommt ein Unternehmen von der Preisbildung nach diesem Cost-Plus- Ansatz weg?

Michailov: Es gibt viele erfolgreiche Beispiele, die zeigen, wie sich Unternehmen durch die richtige Wertpositionierung und einzigartige Wertangebote aus dem Korsett der Cost-Plus- Preise befreien konnten. So können zum Beispiel gut geführte Maschinen- und Anlagenbauer durch deutlich überlegene Technik und geringere Betriebskosten über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage beim Kunden punkten. Dadurch tritt ein im Vergleich zum Wettbewerb deutlich höherer Anschaffungspreis in den Hintergrund. In diesem Fall muss das Unternehmen nur die Gesamtbetriebskosten richtig berechnen, glaubhaft ausweisen und aktiv kommunizieren. So kommt man von Cost-Plus zu der Bepreisung der Total-Cost-of- Ownership.

Bürkle: Haben Sie ein konkretes Beispiel eines mittelständischen Maschinen- und Anlagenbauers?

Michailov: Bei einem unserer Maschinen- und Anlagenbau-Projekte ist es uns gelungen, die Preise für eine Anlage um bis zu 15 Prozent zu steigern, indem wir systematisch die Total- Cost-of-Ownership (TCO) beim Kunden bewertet haben. Meistens liegt im Unternehmen ausreichend Know-how darüber vor, wie eigene Anlagen beim Kunden laufen – vor allem wenn der Service-Bereich gut aufgestellt ist. So war es auch hier. Aus der TCO-Bewertung ergab sich, dass eine sehr hohe Verfügbarkeit der Anlagen entscheidend war. Das Unternehmen deckte zwar nur einen Teil in der Wertschöpfung des Kunden ab, seine Anlage war jedoch ausschlaggebend für die gesamte Kette. Selbst ein kurzer Stillstand würde mit einem enormen negativen Hebel auf den gesamten Output durchschlagen. Da nun die Anlage bezogen auf die gesamte Wertschöpfungs-kette nur rund 10 Prozent des Investitionsvolumens ausmachte, kam es dem Kunden auf zusätzliche 1,5 Prozent nicht an – vorausgesetzt man ist richtig positioniert, hat ein einzigartiges Wertangebot und weiß das auch! 
Immer wieder erleben wir Maschinenbauer, die von sich behaupten, sie seien die besten Differenzierer in der Branche, überhaupt nicht vergleichbar mit dem Wettbewerb. Die wichtigste Stressfrage für die Differenzierungsstrategie lautet dann: Wie viel Preispremium bekommt man für diese Differenzierung? An dieser Stelle trennt sich die Spreu vom Weizen.

Bürkle: Ähnliche Beispiele gibt es auch in der Konsumgüterindustrie?

Michailov: In der Konsumgüterindustrie sind die Beispiele noch greifbarer. Warum kostet ein 100 Gramm wiegender Osterhase eines führenden Markenherstellers 2,95 Euro, der eines führenden Discountersdagegen 73 Cent – wobei in der Blindverkostung niemand einen vierfachen Unterschied feststellen kann. Hier ermöglicht eine ausgefeilte Marken- und konsequente Preisführung die maximale Abschöpfung der Zahlungsbereitschaft. 
Bürkle: Mit welchen Instrumenten könnte man hier den Markenwert ermitteln, um den bestmöglichen Preisaufschlag vornehmen zu können? 

Michailov: Nahe liegen würde eine direkte Befragung der Konsumenten, doch die halte ich für weniger geeignet. Sie würde aufgrund verschiedener psychologischer Faktoren keine validen Ergebnisse liefern. Es gibt jedoch Methoden, die sehr aussagefähige Resultate und Empfehlungen liefern. Dazu gehört zum Beispiel die „Conjoint-Analyse“, die als multivariate Analyse in der Psychologie entwickelt wurde. Der Riesenvorteil dieser Vorgehensweise ist die Nachbildung einer Kauf- und damit realen Entscheidungssituation für einen Kunden. Wie in der Realität werden nur vollständige Produkte bewertet, und die Beurteilung der Eigenschaften und Eigenschaftsausprägungen erfolgt implizit, ohne dass der Konsument explizite Aussagen hierzu treffen muss. Anhand der Auswertung lassen sich die Bedeutung und auch die Zahlungsbereitschaft des Kunden für die einzelnen Attribute eines Produktes herleiten. 

Bürkle: Was kann unter dem Strich eine perfekt auf den Mehrwert einer Marke abgestimmte Preisbildung bewirken?

Michailov: Dazu betrachtet man am besten die Hebelwirkung auf den Ertrag, die durch eine profitable Wertabschöpfung erzielt wird. Bereits eine einprozentige Wertabschöpfung kann bei einem Unternehmen mit zwei Prozent Rendite das Ergebnis um rund 50 Prozent steigern. Eine 
optimale Preispolitik ist mit Sicherheit eines der wichtigsten Instrumente der Geschäftsmodell-Gestaltung.

Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

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Jörg Bürkle Interim Restrukturierer

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