Eine Kernaufgabe von Führung ist es nicht nur, für die profitable Performance von heute zu sorgen. Sondern auch bewusst in die Resilienz eines Unternehmens zur effektiven Überwindung der Krisen von morgen zu investieren. Die Herausforderung liegt darin, sich darüber zu freuen, dass man Geld für einen „Feuerlöscher“ ausgegeben hat, den man im besten Fall nie benutzen wird. Nur wer proaktiv und vorausschauend handelt, ist auf das Schlimmste vorbereitet. Die Vorteile dieser Resilienzorientierung sind vielfältig: Eine bessere Unternehmenssubstanz, weniger negative Überraschungs-Schocks, eine schnellere Reaktionsfähigkeit der Organisation und vor allem im Fall der Fälle die sichere Besetzung der Driver-Seat-Position durch Führung und Gesellschafter.
Das Präventionsparadoxon als wesentliche Ursache von Unternehmenskrisen! Oder wie Sie Ihre Unternehmensresilienz gezielt stärken können.
Was verursacht substanzielle Unterschiede zwischen Unternehmen und warum erweisen sich manche als so viel resilienter als andere?
Die wahre Substanz eines erfolgreichen Unternehmens und die Führungsqualität seiner Manager zeigen sich meist erst in stürmischen Zeiten. Denn wenn es hart auf hart kommt, bestimmt die Anpassungsfähigkeit eines Unternehmens maßgeblich seine Resilienz. Um im Bild zu bleiben: Die COVID-19-Pandemie hat einen echten Sturm über Unternehmen gebracht. Und innerhalb weniger Tage nach dem Lockdown haben sich in den meisten Branchen gleichermaßen je drei Cluster von Unternehmen gebildet. Das erste Cluster kämpft verzweifelt ums Überleben; das zweite nutzt die Pandemie-Erschütterung als Beschleuniger und Antrieb für eine notwendige Restrukturierung; Cluster Nummer drei spielt seine Stärke aus und geht in den „Markt-Angriffsmodus“.
Was verursacht so substanzielle Unterschiede zwischen Unternehmen der gleichen Branche, warum erweisen sich manche als so viel resilienter als andere? Wie kann eine Krise erfolgreich abgewendet oder Turnaround leichter herbeigeführt werden?
Zu den Erfolgsfaktoren zählen eine zurückhaltende Entnahmepolitik der Gesellschafter genauso wie die stringente Fokussierung auf den Kundenmehrwert, auf innovative Unternehmenskultur und konsequentes Management. Wirklich entscheidend ist aber vorausschauendes und proaktives Handeln des Managements bzw. der Shareholder. Sich und den bisherigen Erfolg noch in guten Zeiten in Frage zu stellen und die bestehende Komfortzone zu verlassen, erfordert nicht nur Mut, sondern auch die Bereitschaft, Schmerzen auf sich zu nehmen. Und das eben bevor ein ernsthafter Leidensdruck entsteht. Hier liegt das Geheimnis von besonders resilienten Unternehmen: Sie nehmen den Schmerz in Kauf, solange dieser noch klein ist, um dafür den richtig großen Schmerz zu vermeiden. Diese Unternehmen unterscheiden sich in der präventiven Einsicht. Sie warten nicht ab, bis der Notfall eintritt und sie auf harte Notwendigkeiten reagieren müssen. Um das zu veranschaulichen: Wenn sich jemand systematisch und professionell im Fitnessstudio „quält“, dann hat er auch eine viel höhere Wahrscheinlichkeit, fit zu bleiben und weniger anfällig für Krankheiten zu sein. Das beobachten wir auch in unserer Turnaround-Praxis. Meistens betreuen wir die Unternehmer, die nicht bereit waren, den kleinen Schmerz auf sich zu nehmen und für die sicherere Zukunft bereits heute zu „leiden“.
Driver Seat oder Beifahrer? Warum viele zu spät handeln.
Eine häufige Krisenursache ist, dass sich Unternehmen mit Problemen erst dann auseinandersetzen, wenn es schon fünf vor zwölf ist. Früherkennung und Risikomanagement werden oft genug nur als Alibi-Funktion betrieben, im Alltag aber nur unzureichend genutzt und nicht ernsthaft gelebt. Aus der Perspektive eines Turnaround-Managers ist es spannend zu beobachten, dass die überwiegende Mehrheit der Unternehmer externe Experten erst dann heranzieht, wenn der Leidensdruck schon so hoch ist, dass es gar nicht mehr anders geht. In solchen Situationen sind die Einsätze der Turnaround-Profis häufig langwierig und selten günstig. Zudem gehört ein Turnaround nicht zum Alltagsgeschäft, verlangt allen sehr viel Einsatz ab und fordert Entbehrungen. Und er ist unberechenbar, denn Durchführbarkeit und Erfolg eines Turnarounds hängen von zahlreichen Variablen ab, die sich nicht mehr allein im Einflussbereich des Unternehmens befinden. Führung und Shareholder laufen dabei Gefahr, die Driver-Seat-Position zu verlieren und nur noch Co-Piloten im eigenen Unternehmen zu sein.
Daher ist es wertvoll, das Paradoxon-Phänomen zu reflektieren und nie zu vergessen, dass der erste Schmerz meist der kleinere Schmerz ist. Denn die Aktionen beeinflussen die Zukunft, Reaktionen kommentieren die Vergangenheit.
Erfolgsfaktoren für den Aufbau von Resilienz
Wenn man den Handlungsbedarf zur permanenten Steigerung der Unternehmensresilienz akzeptiert, wie schafft man es dann konkret, als Unternehmer erfolgreich zu bleiben? Auf dem Markt gibt es dafür zwar eine Vielzahl von unterschiedlichen und hochkomplexen Modellen mit unzähligen Radaren, Navigatoren oder sogar ISO-Normen, die das Risikomanagement unterstützen und Frühwarnsysteme bieten sollen. Die Praxiserfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt allerdings, dass es auf fünf qualitative und quantitative Erfolgsfaktoren ankommt– und auf die Fähigkeit, wenige, aber dafür die richtigen Fragen zu stellen.
Erfolgsfaktor 1
Die Bereitschaft, bewusst Ressourcen in den Aufbau von Resilienz zu investieren und sich als Führungskraft dafür Zeit zu nehmen. Sei es im Rahmen eines Resilienz-Tages oder einer Sparringsrunde mit externen Experten. Auch wenn es bedeutet, das Tagesgeschäft für einen Moment ruhen zu lassen und es „schmerzhaft“ sein kann, sich mit künftigen Risiken und Herausforderungen auseinanderzusetzen, ist es dennoch (überlebens-)wichtig, sich frühzeitig der „Realität“ zu stellen. In Unternehmen mit exzellent funktionierenden Beiräten oder Aufsichtsräten können diese Organe die Funktion der relevanten Resilienz-Sparringspartner übernehmen. In anderen Fällen empfiehlt sich der Einsatz eines Trainers oder Beraters. Die Frage, die sich das Führungsteam stellen sollte: Welche potenziellen Game Changer lassen mich nachts schlecht schlafen?
Erfolgsfaktor 2
Die systematische Erfassung der chancen- oder gefahrengetriebenen Entwicklung neuer Kundenbedarfe, des strukturellen Wandels sowie des dynamischen Wettbewerbsumfelds. Dies ist als Frühwarnsystem ebenso entscheidend wie das konsequente Ergreifen relevanter Aktionen zur proaktiven Gestaltung des zukünftigen Wertangebots. Die Frage, die sich das Führungsteam stellen sollte: Wie übertreffe ich die Erwartungen meiner Kunden auch in der Zukunft?
Erfolgsfaktor 3
Die permanente Reflexion der eigenen Wertpositionierung und Differenzierung im Markt. Im Fokus stehen sollten die Bewertung der heutigen und die Bestimmung der zukünftigen Kernkompetenzen. Denn der Aufbau neuer Stärken vervielfacht die Optionen für die Unternehmensentwicklung und steigert damit wesentlich die Widerstandsfähigkeit. Und es ist wichtig, Fokussierung auch als Verzicht zu begreifen. Die Frage, die sich das Führungsteam stellen sollte: Auf welche Chancen verzichte ich bewusst, um meine Kräfte wirksam zu bündeln und mich auf wenige Initiativen zu konzentrieren?
Erfolgsfaktor 4
Nachhaltige Kapitaldienstfähigkeit ist das Fundament der Resilienz und daher oberstes Ziel. Für Verschuldungsgrade und die Entnahmepolitik der Shareholder gilt gleichermaßen: Eine positive mittelfristige Cash-Perspektive muss gesichert bleiben. Zusätzlich ist es sinnvoll, eine „Kriegskasse“ für den Fall eines Emergency-Modus anzulegen, um mindestens einige Monate ohne externe Cash-Zuführung überleben zu können. Die Frage, die sich das Führungsteam stellen sollte: Wie steigere ich meine Kapitaldienstfähigkeit nachhaltig?
Erfolgsfaktor 5
Das Vorleben, die Förderung und das Einfordern einer Unternehmenskultur der Veränderung, des Vertrauens, der Fehlerakzeptanz und der cross-funktionalen Zusammenarbeit – und zwar durch das ganze Führungsteam. Denn essenziell für die nachhaltige Resilienz des Unternehmens ist das richtige Mindset der Mitarbeiter: sich selbst sowie die gesamte Organisation permanent weiterzuentwickeln und Erfolgsrezepte der Vergangenheit in Frage zu stellen. Die Frage, die sich das Führungsteam stellen sollte: Wie sorge ich für eine Kultur der kreativen Reibung?