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Insights

Der Sieg über den inneren Kritiker

Autor

Georgiy Michailov

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Oder: Wie Sie die Spiele des Lebens gewinnen

Wenn man sich mit dem Thema des „inneren Kritikers“ auseinandersetzt und weiß, wie sehr dieser am eigenen Selbstvertrauen nagen kann, kommt man an der Unterscheidung zwischen „innerem Spiel“ und „äußerem Spiel“ nicht vorbei. Ich habe diesen Gedanken hier und da schon einmal kurz erwähnt, möchte ihn heute aber einmal etwas genauer ausführen.

Zum ersten Mal begegnet sind mir diese Begriffe des inneren und äußeren Spiels bei Jens Corssen, in seinem hervorragenden Konzept des „Selbstentwicklers“, das mir vor etlichen Jahren die Augen dafür geöffnet hat, wie ein gelingendes Leben möglich ist.

Das zweite Mal begegnete ich diesem Gedanken bei Dr. Petra Bock, als ich mich auf das Interview mit ihr vorbereitete und in ihrem spannenden Buch „Mindfuck“ las. Dort lernte ich auch den Begründer des Konzepts kennen: Timothy Gallwey.

Gallwey arbeitete in den Siebzigerjahren als Tennislehrer, als er eine bahnbrechende Beobachtung machte: Der größte Gegner eines Spielers ist häufig nicht das Netz, der Platz oder der Gegner auf der anderen Seite, sondern der Kampf gegen sich selbst. Diese Erkenntnis führte zur Entwicklung des „Inner Game“, einer Methode und Philosophie, die darauf abzielt, Selbstkritik und übertriebenes analytisches Denken zu überwinden. Beides behindert unsere Leistung.

Gallweys Formel lautet:

Leistung = Potenzial - Störungen.

Auf Störungen, vor allem die inneren, richtet er sein Augenmerk. Denn wir selbst sind es, die innere Störungen erzeugen. Gallwey identifiziert zwei konkurrierende Selbst, die in jedem von uns existieren: Selbst 1 ist das kritische „Ich“, das ständig Anweisungen gibt und Fehler bewertet, während Selbst 2 – das natürliche „Ich“ –einfach Leistungen vollbringt und dabei aus Erfahrungen lernt. Die Herausforderung besteht darin, das Vertrauen in das Selbst 2 zu stärken und die störenden Einflüsse des Selbst 1 zu minimieren. So sagt Gallwey:

„When the mind is free of any thought or judgment, it is still and acts like a mirror. Then and only then can we know things as they are.”

Ausgehend von diesem Ansatz beschreibt Gallwey, wie sich unser Leben auf zwei verschiedenen Ebenen bewegt: auf der Ebene des äußeren Spiels und auf der Ebene des inneren Spiels.

Unser äußeres Spiel wird durch unsere Handlungen bestimmt. Dieses Spiel spielen wir gegen einen äußeren Gegner, um ein äußeres Ziel zu erreichen. Beispiel: Beim Tennis besteht das äußere Spiel darin, den Ball möglichst unerreichbar für den Gegner im Feld zu platzieren und den letzten Punkt zu gewinnen. Die Spieler müssen ihre Schnelligkeit und die Koordination zwischen Augen, Handgelenken, Armen, Beinen und anderen Körperteilen trainieren.

Typischerweise ist das tägliche Training der Spieler auf das äußere Spiel ausgerichtet.

Im Gegensatz zu diesem äußeren Spiel findet das innere Spiel im eigenen Kopf statt. Bei diesem Spiel sind wir selbst unser Gegner.

Wir spielen gegen Hindernisse wie Ängste, Zweifel, Konzentrationsschwächen oder Erwartungen.

Tim Gallwey veröffentlichte seine Erkenntnisse 1974 in seinem Buch „The Inner Game of Tennis“, das weltweit viele Anhänger fand und in diesem Jahr – zum 50. Jubiläum – in einer Sonderausgabe erscheint.

Ziel muss es demnach sein, das Selbst 1 zu überzeugen, dem Selbst 2 zu vertrauen und beide in Einklang zu bringen. Erst dann würden wir Höchstleistungen erreichen, so Gallwey:

„The key to better tennis – or better anything – lies in improving the relationship between the conscious teller, Self 1, and the natural capabilities of Self 2.”

Allerdings ist es kaum möglich, gegen das Selbst 1 anzukämpfen. Deshalb empfiehlt Gallwey verschiedene Praktiken wie das Fokussieren der Aufmerksamkeit, das Loslassen selbstkritischer Gedanken und das Entwickeln eines nicht wertenden Bewusstseins:

„Fighting the mind does not work. What works best is learning to focus it.”

In der Praxis hat er beispielsweise den Trainingsplan folgendermaßen verändert: Statt Anweisungen etwa zur richtigen Schlagtechnik oder Armhaltung zu geben, führte Gallwey zehn Vorhandschläge selbst vor. Er forderte den Spieler auf, die Bewegung genau zu beobachten, sich den Vorhandschlag visuell vorzustellen und den eigenen Körper das Gesehene einfach nachahmen zu lassen. Was geschah? Der Schüler ließ den Ball fallen, machte einen perfekten Ausfallschritt, schwang sich mit dem Schläger nach vorne und beendete den Schwung auf Schulterhöhe auf ganz natürliche Weise.

Eine andere Möglichkeit der Refokussierung besteht darin, einfach darauf zu achten, wann der Ball vom Boden abprallt (bounce) und wann er den Schläger trifft (hit). Wer dann die Worte „bounce“ und „hit“ laut ausspricht, während diese Aktionen stattfinden, bei dem wird der Geist keinen übermäßigen Druck ausüben oder sich Sorgen machen. Das Selbst 1 ist „ausgeschaltet“.

Auf diese Weise wird der Trainingsprozess vereinfacht, unnötige Anweisungen und Störungen werden eliminiert. Das Selbst 1 und das Selbst 2 des Spielers sind sehr ruhig und konzentriert, sie haben keine Zeit, darüber nachzudenken, wie sie ihre Bewegungen regulieren sollten. Alles geschieht wie von selbst. Wie bei Babys, die das Laufen lernen.

„Fortunately, most children learn to walk before they can be told how to by their parents.”

Ähnlich verhält es sich mit dem, was in unserem Kopf vor sich geht. Wir bewerten unser Handeln durch die kritische Brille des Selbst 1. Unser Ziel muss es jedoch sein, unser Handeln wie ein Schiedsrichter zu betrachten. Denn dieser sieht die Tatsachen, wie sie sind, ohne sie negativ zu färben. Seine innere Welt ist ruhig und spiegelt das Geschehen auf dem Platz genau wider.

Um Höchstleistungen zu erbringen, sollten wir unseren Geist beruhigen, wie ein Schiedsrichter. Die Umgebung sollten wir möglichst wertfrei betrachten. Wenn wir unsere Gefühle nicht loslassen, wird das Selbst 1 über das Selbst 2 urteilen. Das Ergebnis wird, wie bereits diskutiert, unproduktiv sein.

Besonders einprägsam und hilfreich zum Verständnis fand ich eine Analogie zur Pflanzenwelt, die Gallwey zog:

„When we plant a rose seed in the earth, we notice that it is small, but we do not criticize it as ‘rootless and stemless’. We treat it as a seed, giving it the water and nourishment required of a seed.”

Wichtig für mich war auch eine Botschaft von Jens Corssen, die dem Sinne nach lautet:

Versuche dein inneres Spiel zu gewinnen, indem du es so spielst, dass du dein Bestes gibst.

Bei einem Boxkampf wären das zum Beispiel die Dinge, auf die wir selbst Einfluss nehmen, die wir selbst kontrollieren können – ein intensives Konditionstraining, eine exzellente Technik und die richtige taktische Einstellung auf den Gegner. Das sind die Dinge, die wir selbst in der Hand haben und mit maximalem Einsatz leisten können. Geben wir uns in diesem Spiel Mühe, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir auch das äußere Spiel gewinnen.

Ganz ähnlich beschreibt es auch Gallwey, der eine andere Art der Zielsetzung empfiehlt. Er rät dazu, sich weniger auf bestimmte Ergebnisse und mehr auf den Prozess zu konzentrieren. Konkret unterscheidet er zwischen Ergebniszielen, die außerhalb unserer direkten Kontrolle liegen, und Leistungszielen, die sich auf die Verbesserung unserer Fähigkeiten konzentrieren. Noch wichtiger sind indes Prozessziele, die sich auf die Art und Weise konzentrieren, wie wir etwas tun. Durch die Konzentration auf Prozessziele kann das Selbst 2 in einem Zustand des Lernens und der Anpassung agieren – frei von jedem Druck, bestimmte Ergebnisse erzielen zu müssen.

Gewinnen Sie Ihr inneres Spiel, dann werden Sie auch im äußeren Spiel zum Sieger!

Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

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