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Insights

Fünf Fokusse für ein gelingendes Leben (1/2)

Autor

Georgiy Michailov

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Oder: Wohin unsere Energie fließen soll

Was bestimmt unser Erleben? Wie interpretieren wir die Wirklichkeit?

Täglich prasseln Milliarden von Eindrücken auf uns ein. Diese Eindrücke zu filtern, ist eine wesentliche Aufgabe unseres Gehirns. Darüber hinaus müssen wir die Frage beantworten, ob wir nicht durch eine ungünstige Darstellung der Fakten draußen in eine für uns falsche Richtung gelenkt werden.

Unsere Konsum- und Mediengesellschaft hat uns fest im Griff. Daher müssen wir uns wieder stärker auf unsere Innensicht besinnen.

Denn die „innere Haltung“ bestimmt unser Erleben.

Dabei geht es um die grundsätzliche Einstellung zum Leben und damit um die Interpretation der Wirklichkeit. Das berühmteste Bild, das dies auf den Punkt bringt, ist das Glas, das halb voll oder halb leer ist – je nachdem. Dabei geht es um weit mehr als die Frage, ob man ein Optimist oder ein Pessimist ist.

Unsere Einstellung bestimmt nicht nur, wie wir die Welt wahrnehmen, sondern formt sie auch.

Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir unseren Lebensfokus „richtig“ einstellen müssen. Wenn es uns gelingt, den Fokus neu zu justieren und die Welt mit offenem Blick zu betrachten, wird unsere Energie – privat wie beruflich – zielgerichteter fließen.

Die Grundlage dafür liefert die viel zitierte kognitive Verzerrung des „Confirmation-Bias“, des „Bestätigungsfehlers“. Demnach neigen Menschen dazu, die Informationen wahrzunehmen, auszuwählen und zu interpretieren, die sie in ihren bisherigen Meinungen oder Erwartungen bestätigen.

Aus einer Vielzahl möglicher Ansätze habe ich fünf unterschiedliche Fokusse herausgegriffen. Diese erscheinen mir persönlich besonders wertvoll für ein gelingendes Leben.

  • Fokus Nr. 1: Auf das Positive
  • Fokus Nr. 2: Auf das Haben
  • Fokus Nr. 3: Auf die Kontrolle
  • Fokus Nr. 4: Auf den Prozess
  • Fokus Nr. 5: Auf das Jetzt

Aufgrund des Umfangs werde ich meine Ausführungen aufteilen. Im ersten von zwei Beiträgen will ich mich heute mit den ersten beiden Fokussen, dem Fokus auf das Positive und dem Fokus auf das, was wir haben, näher beschäftigen.

Fokus No. 1: Auf das Positive

Das oben erwähnte halbvolle Glas ist wohl eine der bekanntesten positiven Interpretationen von Situationen, die sich auch negativ sehen ließen. Aber wirkt sich diese optimistische Interpretation tatsächlich positiv auf unser Leben aus?

In „Resilience: The Science of Mastering Life's Greatest Challenges“ erklären drei renommierte Forscher das Konzept der Resilienz. Verfasst wurde das Buch schon vor mehr als zehn Jahren von Steven M. Southwick, einem langjährigen Professor für Psychiatrie und Resilienz an der Yale University, sowie Dennis S. Charney, heute Dekan der renommierten Medizinhochschule des Klinikverbunds Mount Sinai in New York. Nach Southwicks Tod 2022 erschien kürzlich die dritte Auflage, entstanden unter Mithilfe von Jonathan M. DePierro, Professor für Psychiatrie an der erwähnten Icahn School of Medicine.

Zusammen analysieren diese Kapazitäten ihres Fachs, wie Menschen mit diversen Hintergründen und in verschiedenen Lebenslagen mit Herausforderungen umgehen können, ohne langfristige negative Auswirkungen zu erleiden. Das Buch basiert auf umfangreichen wissenschaftlichen Studien und den persönlichen Geschichten von Menschen, die schwierige Umstände erfolgreich gemeistert haben. So wurden zum Beispiel mehr als 700 Veteranen interviewt, die während des Vietnamkrieges mehrere Jahre in Gefangenschaft verbracht und sich als besonders widerstandsfähig erwiesen hatten. Obwohl viele von ihnen Folter und Einzelhaft erlebt hatten, entwickelten sie keine posttraumatischen Belastungsstörungen oder Depressionen.

Die Forscher leiteten daraus die zehn Faktoren für maximale Resilienz ab. Und was war die Nummer eins?

Realistischer Optimismus!

Andere Faktoren wie Altruismus, soziale Bindungen, Selbstwirksamkeit oder Humor waren ebenfalls sehr wichtig, doch der realistische Optimismus stand ganz oben.

Auch eine weitere große Studie unter der Leitung von Hilary Tindle, damals Biologin an der Universität Pittsburgh und heute Professorin an der Vanderbilt University in Nashville, deutet darauf hin, dass Optimismus positive Auswirkungen hat. Diese 2009 publizierte Studie untersuchte die Frage, wie sich die Charaktereigenschaften „Optimismus“ (definiert als positive Zukunftserwartungen) und „zynisch-feindselige Einstellung gegenüber anderen“ auf das Auftreten von koronaren Herzkrankheiten (gemeint sind Erkrankungen der Herzkranzgefäße) sowie die Sterblichkeit auswirkten.

An der Studie nahmen 97.253 Frauen nach der Menopause teil, die allesamt zu Beginn der Studie frei von Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen waren. Die Ergebnisse zeigten, dass Optimistinnen im Vergleich zu Pessimistinnen niedrigere altersbereinigte Raten von Herzerkrankungen und Gesamtmortalität aufwiesen. Im Gegensatz dazu hatten Frauen mit den zynischsten und feindseligsten Einstellungen höhere Raten von Herzkrankheiten und Gesamtmortalität. Die Auswirkungen von Optimismus und zynisch-feindseligen Einstellungen waren unabhängig voneinander.

Aber was ist mit schweren Rückschlägen oder gar Schicksalsschlägen im Leben? Lässt sich wirklich auch noch etwas Positives abgewinnen?

Was ich in den vergangenen Jahrzehnten immer besser verstanden habe, ist, dass wir vieles nicht verstehen können, wenn wir nicht den nötigen Abstand dazu haben.

Wir brauchen häufig Abstand, manchmal räumlich, vor allem aber zeitlich, um die Muster des Lebens zu verstehen.

Gottes Wege sind unergründlich.

Mich hat der berühmte Satz in den Tagebüchern des dänischen Theologen Søren Kierkegaard sehr beeindruckt:

„Es ist ganz wahr, was die Philosophie sagt, dass das Leben rückwärts verstanden werden muss. Aber darüber vergisst man den anderen Satz, dass das Leben vorwärts gelebt werden muss.“

So konnte ich viele Widrigkeiten des Lebens, die ich damals als ungerecht empfunden habe, erst Jahre später verstehen – und herauslesen, welchen Nutzen ich aus dem damaligen Geschehen auch gezogen hatte.

Die Opferhaltung hinter sich zu lassen und aus Rückschlägen das Beste zu machen, ist die wahre Kunst der Selbstbestimmung.

Fokus No. 2: Auf das Haben

Eine interessante Aussage von Naval Ravikant hat mich sehr beeindruckt. Naval ist einer der bekanntesten Unternehmer und Investoren im Silicon Valley (so war er zum Beispiel bei Uber und Twitter engagiert) und hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Art Lebensphilosoph entwickelt. Er sagt:

„Happiness is what’s there when you remove the sense that something is missing in your life.“

Sich auf das zu konzentrieren, was wir bereits haben – das bringt uns zu uns selbst. Leider ist die gesamte Konsum- und Statusgesellschaft darauf ausgerichtet, sowohl neue Bedürfnisse zu wecken als auch darauf, dass wir uns ständig zu vergleichen.

Wie wertvoll es ist, uns das bewusst zu machen, was wir schon haben, zeigt folgende Geschichte:

Ein junger Mann wird gefragt, ob er gerne zehn Millionen Dollar hätte. Natürlich sagt er, dass er damit glücklich wäre. Er wird gefragt, ob er dafür auch etwas opfern würde. Natürlich, sagt er, man müsse schließlich etwas für sein Glück tun. Dann bietet man ihm zehn Millionen, verbunden mit der Botschaft, dass er dafür am nächsten Tag nicht mehr aufwachen würde. Auf keinen Fall, sagt er, so viel sei ihm das Geld nicht wert.

Die Botschaft an den jungen Mann: Nur aufwachen zu können, ist ihm mehr wert als zehn Millionen Dollar.

Ich frage mich, ob er sich das vorher schon klar gemacht hat!

Die meisten Menschen wissen gar nicht, wie privilegiert sie sind. Allein für eine intakte Gesundheit können sie sehr dankbar sein. Leider sehe ich Gesundheit, wie oben beschrieben, als Defizitgut: Ihren Wert erkennen die meisten Menschen erst, wenn sie zu schwinden beginnt oder plötzlich beeinträchtigt ist. So ist es leider mit vielen Dingen im Leben. Man ist zu wenig dankbar für das, was man hat, und lenkt seine Energie zu sehr auf das, was einem fehlt, was man noch haben will.

Das heißt übrigens nicht, dass wir nichts anstreben sollen! Die Frage ist nur: Wonach streben wir? Ist ein cooles Auto Selbstzweck genug oder doch nur ein „Abfallprodukt“ der eigenen Performance?

Vielleicht lohnt es sich, eher die Substanz unserer eigenen Performance in den Blick zu nehmen und sie als Potenzial zu betrachten, das noch nicht ausgeschöpft ist.

Deshalb ist es auch so wichtig, immer wieder in sich selbst zu investieren. Denn das ist der Bereich, den wir am besten beeinflussen können. Auf diese Weise kommen wir ins Handeln und laufen gar nicht erst Gefahr, in die Opferrolle zu verfallen, die meist nur eine Ecke weiter lauert. Oprah Winfrey brachte es so auf den Punkt:

„Sei dankbar für das, was du hast, dann wirst du mehr haben. Wenn du dich auf das konzentrierst, was dir fehlt, wirst du nie genug haben.“

Eine der besten Möglichkeiten, sich nicht nur auf das zu konzentrieren, was einem fehlt, ist das Führen eines Tagebuchs. Schon fünf bis zehn Minuten jeden Abend reichen, um drei Situationen zu beschreiben, in denen du dankbar sein kannst. Schon ein Aufstehen ohne Kopf- oder Gliederschmerzen kann für viele unglaublich erstrebenswert sein – und ist es wert, festgehalten zu werden.

Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

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