Oder: Wie acht Stufen zum Change-Erfolg führen können
Wer sich mit dem Thema Change beschäftigt, kommt an „Leading Change“, dem Klassiker von John Kotter aus dem Jahr 1996, nicht vorbei. Dachte ich zumindest. Und für meine Generation stimmt dies auch. Schließlich gehört Kotter nicht nur zu den besten Harvard-Professoren, sondern auch zu den weltweit anerkannten Koryphäen des Führungs- und Veränderungsmanagements. Bei einer nicht repräsentativen Umfrage in unserem Unternehmen habe ich jedoch feststellen müssen, dass die Menschen diesen Ansatz umso weniger kannten, je jünger sie waren.
Angesichts der Tatsache, dass unsere Leute die beste Ausbildung genossen haben, stellte sich mir die Frage, warum Kotter anscheinend nicht mehr gelehrt oder wenigstens zum Selbststudium empfohlen wird. Sicher gibt es an diesem Ansatz auch einiges zu kritisieren, doch das gilt praktisch für jedes Modell.
John Kotter hat sein Modell aus „Leading Change“ über die Jahre stetig weiterentwickelt, so zum Beispiel in seinem Buch „Accelerate: Building Strategic Agility for a Faster-Moving World“, das 2014 erschien. Für mich war es besonders interessant, den Ansatz und seine Modifikationen aufs Neue durchzuarbeiten, als ich mich auf meinen Podcast mit seinem Co-Author Holger Rathgeber vorbereitet habe.
Holger hat John Kotter vor bald 20 Jahren dafür gewonnen, seine Erkenntnisse ganz neu zu verpacken. So entstand ein außergewöhnliches Buch, das am Beispiel einer Pinguinkolonie in der Antarktis, die durch das Schmelzen ihres Zuhauses in ihrer Existenz bedroht ist, davon erzählt, wie sich Veränderungen meistern lassen. Die Pinguine müssen lernen zusammenzuarbeiten, um mit der Herausforderung umzugehen und eine neue Heimat zu finden. Die im Stil einer Fabel daherkommende Geschichte illustrierte auf wunderbare Art und Weise die acht Schritte des klassischen 8-Stufen-Modells aus Kotters „Leading Change“. Das Buch erschien 2006 unter dem Titel „Das Pinguin-Prinzip. Wie Veränderung zum Erfolg führt“ („Our Iceberg Is Melting“) und wurde weltweit ein Riesenerfolg.
2016 ließen Holger und John Kotter das nächste Buch folgen: „Das Erdmännchen-Prinzip. Aus Krisen als Gewinner hervorgehen“ (im Englischen erschienen unter dem Titel „That's Not How We Do It Here!“). Dieses Mal drehte sich die Geschichte um einen sehr traditionell organisierten Clan von Erdmännchen, der in der Kalahari-Wüste mit einer Krise konfrontiert wird. Im Zentrum des Geschehens steht Nadia, ein abenteuerlustiges Erdmännchen, das auf der Suche nach neuen Ideen einen anderen Erdmännchen-Clan entdeckt, der agiler und kooperativer ist. Nadia lernt, wie sich die Stärken beider Gruppen kombinieren lassen, um den Herausforderungen besser zu begegnen. Es ging um eine Kombination von Stärken, die Kotter zuvor in „Accelerate“ beschrieben hatte.
Ich bin, wenn man so will, mit John Kotters Ansätzen groß geworden. Ich habe mich daher entschieden, die wesentlichen Erkenntnisse seiner Arbeit in diesem Beitrag zusammenzufassen. Die Grundideen seines Modells sind weiter von einem hohen praktischen Nutzen – davon bin ich überzeugt.
Kotters 8-Stufen-Modell des Wandels beinhaltet die sequenzielle Abfolge folgender Schritte:
1. Ein Dringlichkeitsgefühl schaffen:
Zu Beginn bedarf es eines gemeinsamen Verständnisses, dass die Veränderung notwendig ist. Hierzu zitiere ich sehr gerne den Coach und Psychologen Jens Corssen:
„Veränderung ist häufig die Funktion der Notwendigkeit und nicht der Einsicht.“
Kotters Formulierungen vom „sense of urgency“ oder der „burning platform“, die es brauche, um wirklich bei allen das Gefühl der Dringlichkeit zu erzeugen, wurden zu geflügelten Worten. Zugleich haben sie Kotter aber auch viel Kritik eingebracht – die bewusste Manipulation der Menschen durch ein Element der Angst wurde nicht immer als zielführend angesehen. Nichtsdestotrotz ist dieses Gefühl der Notwendigkeit einer Veränderung essenziell, um Menschen tatsächlich dazu zu bewegen, gravierende Schritte zu gehen. Hier sehen wir auch den größten Unterschied zwischen einem Turnaround und anderen Change-Projekten: In einer Krisensituation ist Dringlichkeit per se gegeben, während dies bei Change-Initiativen weniger selbstverständlich ist. Vielleicht auch aus diesem Grund scheitert mehr als die Hälfte von ihnen. Es gilt daher, überzeugende und transparente Argumente zu liefern, um allen die möglichen Konsequenzen des Nichtstuns aufzuzeigen.
2. Eine Führungskoalition bilden:
Um den Veränderungsprozess voranzutreiben, bedarf es einer starken, aktiven und entscheidungsfreudigen Führungsmannschaft. Man braucht ein Team, das für den Wandel brennt und diese Energie auch in die Organisation hineinträgt. Wichtig dabei ist zu betonen, dass ein erfolgreicher Change-Prozess sehr selten nur „top-down“ funktioniert. Vielmehr gilt es auch die informellen Führungspersonen und Netzwerke innerhalb der Organisation zu berücksichtigen. Wer diese Schlüsselfiguren nicht einbindet, wird nur schwerlich die nötige Akzeptanz für die Veränderungen erzeugen.
3. Eine Vision entwickeln und kommunizieren:
Eine klare und inspirierende Vision des Zielzustands motiviert Mitarbeiter und schafft Orientierung. Dabei geht es weder um ein Mission Statement noch um Purpose, sondern um ein Leitbild, das die langfristigen Interessen aller wichtigen Stakeholder ansprechen und auch realistische Ziele beinhalten sollte. Zugleich darf es nicht zu rigide sein, um Optionen zu eröffnen. Und natürlich muss dieses Leitbild eingängig und leicht zu kommunizieren sein.
4. Ermächtigen und handeln:
Den Mitarbeitern muss die Möglichkeit gegeben werden, sich aktiv in den Veränderungsprozess einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. Dies kann Strukturen, Prozesse oder auch Personen betreffen, die den Fortschritt behindern. Wir denken dabei immer daran, dass die Struktur das Verhalten der Menschen wesentlich prägt. Ziel ist es somit, den Mitarbeitern die Autonomie, die Ressourcen und die Unterstützung zu geben, die sie brauchen, um effektiv und proaktiv handeln zu können. Dies fördert eine Kultur, in der Risiken eingegangen werden und innovative Lösungen entstehen, um die angestrebten Veränderungen erfolgreich umzusetzen.
5. Kurzfristige Erfolge erzielen:
Schnelle Erfolge und sichtbare Fortschritte stärken die Motivation und untermauern die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges. Dabei meint Kotter nicht klassische „low hanging fruits“, sondern Erfolge, die das Leitbild stützenund als Beweis dafür dienen, dass die Veränderungsbemühungen Ergebnisse zeitigen. Auf diese Weise erhöhen sie die Glaubwürdigkeit der gesamten Veränderungsinitiative.
6. Veränderungen verstetigen:
Um den neuen Status quo zu etablieren, müssen sich Gewohnheiten und Verhaltensweisen nachhaltig verändern. Dies bedeutet, kontinuierlich neue Projekte zu starten, die die Veränderung weiter in der Organisation verankern. Ziel ist es, nicht nachzulassen, sondern den Veränderungsprozess mit anhaltender Energie und Dringlichkeit fortzusetzen. So lässt sich sicherstellen, dass die Veränderungen tiefgreifend sind.
Allerdings muss man hier sehr aufpassen, den „Firefighting“-Modus nicht zur Normalität zu machen, denn das lässt die Menschen nicht nur müde werden, sondern irgendwann auch völlig abstumpfen.
7. Veränderungen institutionalisieren:
Anpassungen in Strukturen, Prozessen und Systemen sind notwendig, um den Wandel langfristig abzusichern. Die besten Erkenntnisse werden in Standards überführt – damit werden die neuen Ansätze zur „Art und Weise, wie wir Dinge hier tun“.
8. Verankern und feiern:
Zum Abschluss des Veränderungsprozesses sollte man die erzielten Erfolge gebührend feiern. Die neuen Verhaltens- und Denkweisen sollten eine gewisse Zeit beobachtet und systematisch abgesichert werden. Die Veränderung sollte als kontinuierlicher, fortlaufender Prozess begriffen werden.
Wie bereits erwähnt: In seinem Buch „Accelerate“ hat Kotter weitere Perspektiven hinsichtlich der Organisationsstruktur aufgegriffen. Er unterscheidet dabei zwischen zwei „Betriebssystemen“ – einem langsamen und einem schnellen System.
Das langsame System stützt die traditionelle Organisationsstruktur, die sich auf Stabilität, Effizienz und Ausführung fokussiert. Etablierte Hierarchien, Prozesse und standardisierte Verfahren halten den Betrieb aufrecht und minimieren die Risiken.
Das schnelle System fokussiert sich hingegen auf Agilität, Innovation und die schnelle Reaktion auf Veränderungen im Markt. Es fördert Experimente, eine schnelle Entscheidungsfindung und Kreativität, insbesondere durch kleinere, netzwerkartige Teams, die die vorausschauende Gestaltung der Unternehmenszukunft verantworten.
Für das Überleben einer Organisation sind beide Systeme essenziell, sie ergänzen einander –vor allem in einem sich schnell ändernden Umfeld.
Kannten Sie diese Ansätze von John Kotter schon oder noch nicht?