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Die bittere Wahrheit über das Süße (Teil I)

Autor

Georgiy Michailov

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Oder: Wie Glukose unser Leben beeinflusst

Durch Zufall stieß ich vor einiger Zeit auf einen Bericht über CGS – Continuous Glucose Monitoring – und seine Anwendung bei Menschen, die sich intensiv mit ihrer Gesundheit beschäftigen. Ich war sofort Feuer und Flamme, diese Methode selbst auszuprobieren und meinen Körper besser kennen zu lernen. Dabei habe ich eine Menge über den Einfluss des Essens auf unser Wohlbefinden erfahren und einige gute Tipps für einen bewussteren Umgang damit gefunden.

Bevor ich aber zu meinen persönlichen Erfahrungen komme, will ich erst ein paar Dinge erklären. Denn warum sollten wir uns überhaupt mit dem Thema Glukose beschäftigen und dessen Wert dann auch noch kontinuierlich messen? Um dieses Phänomen zu verstehen, ist ein wenig Theorie sehr wichtig.

1. Was ist Glukose?

Als primärer Energielieferant spielt Glukose – eine einfache Form des Zuckers, deren Bezeichnung sich vom griechischen Wort für „süß“ herleitet – eine zentrale Rolle in vielen Stoffwechselprozessen. Glukose (auch bekannt als Traubenzucker) kommt als Baustein in Zweifachzuckern wie Laktose (Milchzucker) und Saccharose (Rohr- oder Rübenzucker) vor. Zucker ist seinerseits im Allgemeinen die Bezeichnung für die eher simplen Spielarten aus der Stoffklasse der Kohlenhydrate, den Sacchariden, die auch komplexere, nicht mehr als süß wahrgenommene Varianten wie Stärke oder Zellulose umfassen. Anders gesagt:

Glukose ist die Basis für sehr vieles.

Um das noch verständlicher zu machen: Pflanzen können Glukose entweder aufspalten, um sie als Energiequelle zu nutzen – oder sie als Baustein für Wurzeln, Blätter, Früchte oder Stängel verwenden.

Einer der wichtigsten Stoffe, den sie mithilfe von Glukose produzieren, ist Stärke. Diese dient als Energiespeicher und wird vor allem in den Wurzeln eingelagert. Aus diesem Grund enthält Wurzelgemüse – wie Rüben, Kartoffeln, Möhren oder Sellerie – viel Stärke. Auch in den Samen von Getreidesorten wie Mais, Weizen oder Gerste sowie in Bohnen steckt viel Stärke.

Eine weitere Substanz, die aus Glukose gebildet wird, ist Zellulose. Die Bedeutung der Zellulose ist enorm, da sie den Pflanzen strukturelle Integrität und Stabilität verleiht, ihnen die Aufnahme und Verteilung von Wasser erlaubt und Wachstum ermöglicht. Ohne Zellulose könnten Pflanzen ihre charakteristische Form und Funktionalität überhaupt nicht aufrechterhalten. Im menschlichen Körper gibt es nur kein Enzym, das Zellulose abbauen kann, weshalb wir sie auch zur Gruppe der „Ballaststoffe“ zählen. Trotz ihrer begrenzten metabolischen Umwandlung tragen Ballaststoffe zu einer gesunden Verdauung, einem Sättigungsgefühl, der Blutzuckerkontrolle, der Herz-Kreislauf-Gesundheit und der Darmgesundheit bei.

Ein anderer Stoff, der durch die Umwandlung von Glukose synthetisiert werden kann, ist Fruktose. Sie ist wie Glukose ein Einfachzucker, aber 2,3-mal süßer und kommt vor allem in Früchten vor, weshalb sie auch als Fruchtzucker bekannt ist. Ihre evolutionäre Aufgabe ist die „Verführung“ von Tier und Mensch – und damit die größtmögliche Verbreitung der in den Früchten enthaltenen Samen.

Die vierte Verbindung, die es lohnt zu kennen, ist die bereits erwähnte Saccharose. Sie entsteht aus der Kombination von Glukose und Fruktose, ist somit ein Zweifachzucker und das, was wir gemeinhin als Haushaltszucker kennen. Saccharose dient den Pflanzen dazu, Energie sehr platzsparend zu speichern und bei Bedarf abzurufen.

Hier der kurze Überblick für alle, die ihn verloren haben: Zu den Grundnährstoffen zählen bekanntlich Fette, Eiweiße (Proteine) und Kohlenhydrate (Saccharide). Letztere teilen sich – grob gesagt – auf in

  • Einfachzucker (Mono-Saccharide) wie Glukose (Traubenzucker) und Fruktose (Fruchtzucker),
  • Zweifachzucker (Di-Saccharide) wie Saccharose (Haushaltszucker) oder Laktose (Milchzucker) sowie
  • Vielfachzucker (Poly-Saccharide) wie Stärke (für den Menschen verdaulich) oder Zellulose und Pektin (für den Menschen unverdauliche „Ballaststoffe“).

2. Warum brauchen wir Glukose – und wie verarbeiten wir sie?

Die Umwandlung von Glukose in Energie, genannt Glykolyse, erfolgt in mikroskopisch kleinen Organellen, bestimmten Teilen unserer Zellen, die auch als Mitochondrien bekannt sind. Diese befinden sich in fast jeder Zelle des menschlichen Körpers. Mitochondrien funktionieren wie kleine Kraftwerke und produzieren die chemische Variante von Elektrizität, das Adenosintriphosphat (ATP). ATP ist der universelle Energieträger, der für alle lebenswichtigen Zellfunktionen wie die Kontraktion der Muskeln, die Zellteilung, die Übertragung von Signalen und andere Stoffwechselvorgänge benötigt wird.

Nach neuesten amerikanischen Studien verfügen nicht einmal 15 Prozent der Menschen über einen gesunden Stoffwechsel (und das betrifft auch den Blutzuckerspiegel).

Dies macht deutlich, wie wichtig der richtige Umgang mit Glukose ist.

Wir Menschen benötigen täglich etwa 200 Gramm Glukose.Davon verbraucht allein unser Gehirn etwa 75 Prozent, und das, obwohl es nur zwei Prozent unseres Körpergewichts ausmacht!Dies zeigt sehr eindrücklich, wie viel Energie unsere Wahrnehmung und ihre Verarbeitung, unser Denken und Verhalten, unsere Bewegungen sowie die Steuerung aller Körperfunktionen verschlingt.

Im Gegensatz zu Pflanzen können wir Glukose nicht aus Wasser, Kohlendioxid und Sonnenlicht herstellen. Wir müssen sie daher mit der Nahrung aufnehmen. Glukose kommt vor allem in Pflanzen vor, allerdings nicht in freier Form, sondern eingebaut in Zellstrukturen. Erst bei der Verdauung werden diese Zellstrukturen aufgespalten und in Form von Traubenzucker / Glukose abgebaut. Dazu sind Enzyme notwendig.

Beim Menschen beginnt die Verdauung der Kohlenhydrate bereits im Mund. Im Speichel befindet sich das Enzym Amylase, das komplexere Kohlenhydrate aufspalten und dadurch Glukose freisetzen kann. Im Dünndarm wird die Verarbeitung der Kohlenhydrate durch Enzyme aus der Bauchspeicheldrüse fortgesetzt.

Da Glukose für den menschlichen Körper lebensnotwendig ist, gibt es für Zeiten des Nahrungsverzichts einen Notfallmechanismus. So können Leber und Nieren auch Glukose aus Fetten und Proteinen (Eiweißen) herstellen. Dieser Vorgang, der als „Glukoneogenese“ bezeichnet wird, ist – chemisch gesehen – eine Umkehrung der Glykolyse: Statt Glukose zu ATP zu verarbeiten, wird aus ATP nun Glukose geschaffen. Dabei sind sechs Moleküle ATP nötig, um ein Molekül Glukose zu bilden. Es ist ein Vorgang, der viel Energie verbraucht.

Wird Glukose einmal richtig knapp, sind viele Zellen in der Lage, ihre Energie stattdessen aus Fett zu gewinnen. Das nennt man metabolische Flexibilität. Die einzigen Zellen, die immer Glukose benötigen, sind die roten Blutkörperchen und einige Gehirnzellen.

Wird umgekehrt mehr Glukose aufgenommen, als der Körper gerade benötigt, wird sie in Glykogen umgewandelt. Dieser Vorgang der „Glykogenolyse“ findet in der Leber und den Muskeln statt. Dort wird das Glykogen dann auch gespeichert und später – bei erhöhtem Glukosebedarf – wieder umgewandelt.

Ein Teil der Glukose zirkuliert immer im Blut und wird Blutzucker genannt. Nur so gelangt der Energielieferant in die Zellen. Für die Aufnahme in die Zellen wird dann Insulin benötigt. Gelingt sie, sinkt der Blutzucker.

Die Glukose-Konzentration in unserem Körper wird in Milligramm pro Deziliter angegeben, abgekürzt »mg/dl«. Der normale Blutzuckerwert im nüchternen Zustand sollte unter 110 mg/dl liegen. Ab Werten von 126 mg/dl spricht man von einer manifesten Diabetes mellitus.

Wie dieser Wert ausfällt, darüber entscheidet insbesondere unsere Ernährung. Sie kann einen großen Unterschied machen. Das Problem: Rein evolutionsbedingt, weiß der Mensch, dass alles, was süß schmeckt, ungiftig ist und zudem sehr schnell Energie liefert. Die Folge: Wir jagen dem Süßen nach.

Wahrscheinlich fällt es uns deshalb so schwer, den Verlockungen süßer Produkte zu widerstehen. Denn sie belohnen uns nicht nur über die Geschmacksnerven, sondern auch mit einem Schub an Dopamin. Und über die Macht des Dopamins habe ich schon häufiger geschrieben (siehe zum Beispiel die Beiträge „Neurotransmitter und unser Erfolg im Leben“ oder „Wie nur 0,0005 Prozent des Gehirns unsere Existenz prägen!“).

3.Welche Gefahren bringt zu viel Glukose mit sich?

Nur um es nochmal klar zu sagen: Glukose per se ist nichts Schlechtes, der Mensch braucht sie. Wie so häufig, ist es eine Frage des Maßes. Haben wir zu viel Glukose im Körper, vor allem in Kombination mit zu wenig Bewegung (die zu ihrem Verbrauch beitragen würde), können Probleme entstehen.

Stellt sich die Frage:

Was genau geschieht mit unserem Körper, wenn wir zu viel Glukose zu uns nehmen?

Wenn wir uns zu viel Energie zuführen und die Glykogen- und Fettspeicher einmal gefüllt sind, entstehen durch die Überschwemmung der Mitochondrien freie Radikale. Diese sind sehr aggressiv. Sie können alles schädigen, was ihnen in die Quere kommt. Sie reißen Löcher in die Zellmembranen, verursachen Fehlfunktionen und können auch schädliche Gene aktivieren, die dann zur Entstehung von Krebszellen beitragen können.

Mit einer geringen Menge dieser freien Radikale kann unser Körper normalerweise umgehen. Schwierig wird es, wenn zu viele davon im Umlauf sind. Dann entsteht oxidativer Stress, der das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2, kognitive Defizite und allgemeine Alterungsprozesse erhöht.

Dann ist da noch die Glykierung, die Anbindung von Zuckermolekülen an Proteine ohne eine Beteiligung von Enzymen. Die so entstandenen, glykierten Moleküle werden als Advanced Glycation End Products bezeichnet. Dadurch wird eine Art „Bräunungsprozess“ in Gang gesetzt.Wir werden gewissermaßen von innen heraus „geröstet“. Dies ist an sich Teil unseres natürlichen Alterungsprozesses, doch je mehr Glukose wir unserem Körper zuführen, desto mehr Glykierung findet statt. Ist ein Molekül einmal glykiert, ist es für immer geschädigt. Die Langzeitfolgen reichen von Faltenbildung bis zum Grauen Star.

Nur kurz am Rande sei bemerkt: Fruktose-Moleküle glykieren andere Moleküle zehnmal schneller als Glukose und sind daher wesentlich schädlicher.

Das Zusammentreffen von zu vielen freien Radikalen, oxidativem Stress und Glykierung führt im menschlichen Körper zu einem allgemeinen Entzündungszustand. Entzündungen sind an sich nicht schädlich, sondern ein Schutzmechanismus, mit dem der Körper Fremdkörper abwehrt. Eine chronische Entzündung birgt jedoch Risiken, da sie sich gegen den Körper selbst richten kann.

Der letzte wichtige Prozess ist der Abbau der überflüssigen Glukose aus dem Blut. Dafür ist das Hormon Insulin zuständig, das von der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttet wird. Ohne Insulin sterben wir. Deshalb muss das Hormon bei Diabetes Typ 1 – wenn die Insulinausschüttung gestört ist – künstlich durch Spritzen zugeführt werden. So wie beim Tennisspieler Alexander Zverev, der deshalb gerade bei den French Open im Zentrum einer Debatte stand.

Insulin bringt zunächst Glukose zur Leber, wo sie in Glykogen umgewandelt wird. Anschließend nimmt die Muskulatur weiteres Glykogen auf. Der verbleibende Rest wird in Fettreserven umgewandelt. Eine zu hohe Aufnahme von Glukose hat eine Gewichtszunahme zur Folge.

Interessanterweise kann überschüssige Fruktose nicht als Glykogen gespeichert werden und landet direkt in den Fettreserven.

Insulin ist überlebenswichtig. Zu viel Insulin allerdings führt zu Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes, polyzystischem Ovarialsyndrom (PCOS) und anderen Krankheiten.

Auch aus diesem Grund ist es wichtig, zu hohe Glukose-Spitzen im Blut zu vermeiden. Diese können bereits kurzfristig zu folgenden Effekten führen:

Hungergefühl und Heißhungerattacken: Zwei Mahlzeiten können die gleiche Kalorienzahl, aber sehr unterschiedliche Glukose-Profile aufweisen – und entsprechend unterschiedliche Auswirkungen auf unser Hungergefühl haben. Eine Mahlzeit mit einem niedrigen Glukose-Spitzenwert sorgt dafür, dass wir viel länger satt bleiben.

Chronische Müdigkeit: Zu viel Glukose beeinträchtigt unsere Mitochondrien, so dass wir weniger Energie haben und müde werden. Jedes Mal, wenn wir zu viel Glukose zu uns nehmen, gefährden wir unsere Mitochondrien.

Schlafstörungen: Ein akuter Abfall von Glukose kann dazu führen, dass wir mitten in der Nacht mit heftigem Herzklopfen aufwachen.

Langfristig können Glukose-Spitzen zu Hautproblemen, schnellerer Alterung, Autoimmunerkrankungen (wie Diabetes), Krebs, depressiven Episoden, Verdauungsproblemen, Herzerkrankungen, Arthrose oder Alzheimer und Demenz führen.

Wie funktioniert nun eine flache Glukosekurve ohne größere Ausschläge nach oben oder unten? Und was sind meine Erkenntnisse nach mehreren Monaten Glukose-Monitoring? Darüber werde ich in meinem nächsten Beitrag berichten.

Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

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