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Meine zehn Leitsätze für ein gelingendes Leben (3/4)

Autor

Georgiy Michailov

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Oder: Was ich in den vergangenen 20 Jahren (ebenfalls) gelernt habe

In den ersten zwei Teilen meiner Reflexion über die zehn Leitsätze meines Lebens habe ich mich insbesondere damit befasst, dass wir zum einen Verantwortung für unser Leben übernehmen sollten und zum anderen Verantwortung für unsere Gesundheit, auch für unsere persönliche Entwicklung. Heute möchte ich den Blick auf unseren Umgang mit Konflikten, auf die Rolle unserer inneren Haltung und auf die Bedeutung langfristiger menschlicher Bindungen richten.

Hier im Überblick die drei Leitsätze, die ich dieses Mal behandeln möchte:

5. Willst Du Recht haben oder gewinnen?

6. Energie folgt dem Fokus.

7. Play long-term games with long-term people.

Allen gemeinsam ist, dass es dabei um unsere Sicht auf die Welt geht, darum, wie wir an die Dinge rangehen – und wie sehr diese Entscheidung dann prägt, wie wir Menschen wahrnehmen, wie wir mit Ereignissen umgehen, wie wir handeln und leben. Um die Wechselwirkung von Innerem und Äußerem, wenn Sie so wollen.

Beginnen möchte ich mit etwas, das uns das ganze Leben über begleitet, ärgert, weiterbringt: Konflikte. Wir können sie als Konfrontation begreifen – oder auch als etwas Konstruktives. Ich bin klar für Letzteres.

5. Leitsatz: „Willst Du Recht haben oder gewinnen?“

Marshall Rosenberg, ein amerikanischer Psychologe und bekannter Mediator, der das Konzept der gewaltfreien Kommunikation entwickelte, sagte einmal:

„Willst du Recht haben oder glücklich sein? Beides ist nicht möglich.“

Es ist ein sehr kluger Satz – und er prägt mein Dasein schon seit langer Zeit. Kennengelernt habe ich diese Botschaft vor rund 20 Jahren durch den Coach und Psychologen Jens Corssen. Seither habe ich sie selbst erfolgreich in der Praxis erprobt.

Der Gedanke dahinter: Jemandem die eigene Interpretation der Realität aufzuzwingen, ist sehr schwierig, wenn nicht sogar gefährlich.

Vor allem in einer Beziehung gilt: Gelingt es einem, dem anderen zu zeigen, dass er im Unrecht ist, verliert dieser andere. Die Folge ist, dass dieser sich als Verlierer fühlt. Je mehr man ihm aber das Gefühl gibt, dass er verliert, desto unglücklicher wird die Beziehung. Oder wollen Sie Ihr Leben mit einem Verlierer oder einer Verliererin verbringen? Allein schon deshalb ist es nicht gut, immer Recht haben zu wollen. Häufig ist der ein Gewinner, der darauf verzichtet, auf Teufel komm raus Recht zu bekommen und es dem Gegenüber „zu zeigen“.

Besonders spannend wird es, wenn wir andere nicht überzeugen können. In diesem Fall provozieren wir bei ihnen häufig eine Gegenreaktion, die ihre bisherige Meinung nur noch verstärkt. Das ließ sich sehr gut beim Thema COVID-19-Impfung beobachten. Die Impfgegner konnten kaum überzeugt werden. Im Gegenteil, neue Argumente pro Impfung riefen bei ihnen nur noch stärkere Gegenreaktionen hervor, die teilweise sogar zu einer Radikalisierung führten. Adam Grant, der Professor an der Wharton School, Experte für Organisationspsychologie sowie Autor mehrerer Bestseller ist, hat dies in der New York Times einmal beschrieben, indem er einen Vergleich zum Immunsystem zog:

„Eine Meinung zu widerlegen, produziert Antikörper gegen künftige Beeinflussungs­versuche, es führt dazu, dass sich Menschen in ihrer Meinung bestärkt fühlen, und erhöht ihre Bereitschaft, Alternativen zurückzuweisen.“

Nur um das klarzustellen: Es geht nicht darum, nicht zu diskutieren oder nicht zu streiten. Es geht um die richtige Auffassung von Konflikt. Wenn es nicht um kreative Reibung, sondern um Rechthaberei geht, verfehlen wir Ziel und Sinn eines Konflikts.

Ich halte es da gerne mit Joseph Joubert, dem französischen Essayisten des 18. Jahrhunderts. Er sagte:

„Das Ziel eines Konflikts oder einer Auseinandersetzung soll nicht der Sieg, sondern der Fortschritt sein.“

Auch der Managementexperte Reinhard K. Sprenger sieht in Konflikten einen Motor des Lebens (siehe „Jedem Konflikt wohnt ein Zauber inne“, Thoughts for Leaders #7) und – wenn es um Unternehmen geht – einen Katalysator für Entwicklung, Fortschritt und Wachstum.

Wer Konflikte nur als Konfrontation, als „win-lose“-Situationen begreift, wird in den meisten Fällen auch nur „lose-lose“-Ergebnisse erzielen. Alle verlieren, keiner gewinnt. Wer Konflikte hingegen als etwas Konstruktives betrachtet, produziert im Idealfall das Gegenteil: Keiner verliert, alle gewinnen.

Der Anthropologe William Ury aus Harvard, der 1981 zusammen mit Roger Fisher das „Harvard-Konzept“ entwickelte, seither als „Papst“ der Konflikt- und Verhandlungsforschung gilt und später rund um die Welt als Vermittler und Mediator in Aktion trat, glaubt, dass es „positive ways of dealing with conflict” gibt.

„To me, the real question is not whether to get rid of conflict or not. It’s whether we can transform destructive forms of conflict into constructive forms of conflict, like dialogue, like democracy, like cooperation.” 

Spannend fand ich auch diese Aussage von Adam Grant: 

The ultimate purpose of debate is not to produce consensus. It's to promote critical thinking.”

Dieser Gedanke klingt vor allem dann angebracht, wenn man bedenkt, dass das Leben nicht nur schwarz oder weiß ist, sondern sowohl als auch. Mit vielen Grautönen oder bunten Schattierungen dazwischen.

Einer der bekanntesten professionellen Verhandler im deutschsprachigen Raum, der von mir sehr geschätzte Matthias Schranner (siehe unser Gespräch in den „SMP LeaderTalks“), sagt:

Ein Konflikt ist positiv, weil er die Chance bietet, etwas Neues zu schaffen.“

Schranner ist ein Verfechter der radikalen Verhandlungsführung. Dabei braucht es, um Konflikte im Grenzbereich erfolgreich zu lösen, nicht Härte, sondern Konsequenz – was etwas anderes ist. Viele Konflikte scheitern nicht an unüberbrückbaren Differenzen, sondern an respektloser Kommunikation.

Aus all diesen Überlegungen heraus sollte man sich beim nächsten Konflikt die Frage stellen, ob man Recht haben oder glücklich sein will.

6. Leitsatz: „Energie folgt dem Fokus.“

Was bestimmt unser Erleben? Wie interpretieren wir die Realität? Jeden Tag prasseln Milliarden Eindrücke auf uns ein. Diese Eindrücke zu filtern, ist eine essenzielle Aufgabe unseres Gehirns. Zuständig dafür ist der Thalamus, der darüber entscheidet, welche Informationen so wichtig sind, dass sie just in diesem Moment ans Großhirn weitergeleitet werden. Er sorgt dafür, dass wir von den vielen Reizen nicht überwältigt werden, sondern die Realität zielgerichtet wahrnehmen können.

Wie wir die Welt „da draußen“ erleben, beschäftigt mich seit Jahrzehnten – im Grunde seit ich sie „bewusst“ wahrnehme und über die Entwicklung des eigenen Selbst im Wechselspiel von Innen- und Außenwelt nachdenke. Ich bin dabei zu der Überzeugung gelangt, dass die menschliche Wahrnehmung aus zwei Perspektiven betrachtet werden kann:

1. aus der Perspektive der ;„aktuellen Aufmerksamkeit“

2. aus der Perspektive der „inneren Haltung“

Bei der Perspektive der „aktuellen Aufmerksamkeit“ handelt es sich um die verstärkte Identifikation äußerer Faktoren, die eine Person just in diesem einen Moment beschäftigen. Jeder kennt dieses Phänomen: Sie erwarten Geburt Ihres Kindes – und sehen beim Einkauf auf einmal überproportional viele kleine Kinder oder schwangere Frauen. Sie kaufen ein Auto einer bestimmten Marke – und sind überrascht, wie viele Autos dieser Marke plötzlich auf den Straßen zu sehen sind. Anders gesagt: Was Sie im Innern beschäftigt, „finden“ Sie in der Umwelt mit einem Mal deutlich häufiger als zuvor. 

Bei der Perspektive der „inneren Haltung“ geht es eher um die grundsätzliche Einstellung zum Leben, somit um die Interpretation der Realität. Das berühmteste Bild, das dies auf den Punkt bringt, ist das Glas, das halb voll oder halb leer ist – je nachdem. Dabei geht es um weit mehr als die Frage, ob Sie ein optimistischer oder ein pessimistischer Mensch sind. Unsere Haltung bestimmt nicht nur die Wahrnehmung der Welt, sondern gestaltet sie auch.

Der englische Psychologe und Glücksforscher Richard Wiseman stellte in mehreren spannenden Experimenten fest:

„Our beliefs do not sit passively in our brains waiting to be confirmed or contradicted by incoming information. Instead, they play a key role in shaping how we see the world.” 

Anders gesagt: Unsere Haltung bestimmt, wie wir die Welt wahrnehmen, damit auch, was wir wahrnehmen, sprich ob wir Chancen erkennen – und damit im besten Fall, wie wir leben.

Das gleiche gilt für unser Geschäftsleben. So stellt Felix Oberholzer-Gee, Professor an der Harvard Business School, in Fragen der Strategie ganz auf die Wertorientierung ab (siehe „Profit follows value“, Thoughts for Leaders #4). Ihm zufolge sollte im Zentrum einer Unternehmensstrategie stets eine Managementphilosophie stehen, die sich immer und überall am Wert orientiert, den das Unternehmen erzeugt. Alles andere, an das Führungskräfte sonst so gerne denken, etwa die Steigerung des Umsatzes oder (noch beliebter!) des Profits, ergebe sich daraus (fast) wie von selbst. Um es in seinen eigenen Worten zu sagen:

„Think value, not profit, and profit will follow.“

Wer sich an dieser Maxime orientiert, macht sich bald in allen Geschäftsvorfällen auf die Suche nach einem Mehrwert für seine Kunden. Dies sichert Unternehmen eine nachhaltige, sich vom Wettbewerb abhebende Positionierung, die über kurz oder lang zu mehr Erfolg führt (wer mehr erfahren will, höre einfach mein Gespräch mit Oberholzer-Gee in den „SMP LeaderTalks“).

Wir können, ja sollten bewusster mit unserem Thalamus umgehen. Wenn es uns gelingt, den Fokus neu zu justieren und offen auf die Welt zu schauen, wird unsere Energie – im Privaten wie im Geschäftlichen – gezielter fließen.

7. Leitsatz: „Play long-term games with long-term people.”

Mit diesem Leitsatz hat Naval Ravikant eine der für mich wichtigsten Botschaften für ein gelingendes Leben zusammengefasst. Und er weiß, wovon er spricht. Naval ist einer der bekanntesten Unternehmer und Investoren im Silicon Valley (so war er zum Beispiel bei Uber und Twitter engagiert) und hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Art Lebensphilosoph entwickelt.

Der Gedanke hinter seinem Satz ist im Grunde simpel: Gehe lieber langfristige Partnerschaften und Kooperationen ein, statt Dich auf kurzfristige Gewinner oder opportunistische Beziehungen einzulassen. Im Mittelpunkt von Navals Philosophie steht somit das Prinzip der Langfristigkeit – die Vorstellung, mit den richtigen Menschen auf Dauer zusammenzuarbeiten und Beziehungen aufzubauen, die auf gegenseitigem Vertrauen, Respekt und gemeinsamen Zielen basieren.

Gerade für mich, der ich aus Usbekistan komme, ist Vertrauen sehr wichtig, denn nicht jedes Land hat ein so gutes Justizsystem wie zum Beispiel Deutschland. Für mich zählt das Wort eines Partners nach wie vor sehr viel mehr als die Verpflichtungen, die formal in den Zeilen eines Vertrags stehen.

Vor allem ein hohes gegenseitiges Vertrauen und eine gut eingespielte Zusammenarbeit sind sehr effektiv, weil sie die Komplexität und damit die Transaktionskosten der Zusammenarbeit massiv reduzieren.

Darüber hinaus greift es den sogenannten „Compound-Effekt“ auf, bei dem bereits kleine Fortschritte mit der Zeit zu einem exponentiellen Payback führen. Nur durch langfristiges Denken und weit vorausschauende Strategien können diese Vorteile genutzt werden, und „in the long run“ werden damit bessere Ergebnisse erzielt.

Die Menschen um uns herum haben Einfluss auf unsere Werte und Ziele. Wer die richtigen Begleiter findet, die passenden Partner, kann von ihrem Wissen und ihrer Erfahrung profitieren und sich gemeinsam mit ihnen weiterentwickeln. Ähnliche langfristige Visionen können dabei helfen, eine solidere Basis für den persönlichen und beruflichen Erfolg zu erschaffen.

Auch im privaten Kontext ist es wichtig, auf „langfristige“ Menschen zu achten. Die Ergebnisse der wohl längsten Studie der Menschheitsgeschichte, der Harvard Study of Adult Development, zeigen eindrucksvoll den Wert guter Beziehungen. Zumindest ist dies zentrale Botschaft von Professor Robert Waldinger, dem aktuellen Leiter der Studie, die vor 85 Jahren ihren Anfang nahm, 724 Männer aus zwei verschiedenen Gruppen über ihr ganzes Leben hinweg begleitete und gerade dabei ist, ihren Fokus auf die Kinder der ersten Teilnehmergeneration zu richten.

Bisherige Ergebnisse zeigen, dass Menschen, die in ihren Beziehungen zu anderen Menschen emotionale Unterstützung erfuhren und selbst unterstützende Beziehungen pflegten, tendenziell glücklicher und gesünder waren.

Nicht der soziale Status, das Einkommen oder der berufliche Erfolg beeinflussen demnach das persönliche Glück, sondern die Qualität der zwischen­menschlichen Bindungen.

Eine zweite, ähnlich angelegte Studie, die ich für eine der wichtigsten unserer Zeit halte, wurde auf der hawaiianischen Insel Kauai über einen Zeitraum von 40 Jahren durchgeführt. Initiatorin war die amerikanische Professorin Emmy Werner (die übrigens in Eltville am Rhein geboren wurde, nach dem Krieg in Mainz Psychologie studierte und dann in die USA ging).

Werner verfolgte, um mehr über die Faktoren menschlicher Entwicklung zu erfahren, das Leben aller 698 Kinder, die im Lauf des Jahres 1955 auf Kauai geboren wurden. In ihrer Studie untersuchte sie die langfristigen Auswirkungen, die Risikofaktoren wie zum Beispiel ungünstige Lebensumstände in der frühen Kindheit auf die Entwicklung haben. Sie erhob dafür Daten der Kinder (respektive Erwachsenen) im Alter von 0, 1, 2, 10, 18, 32 und 40 Jahren. Ein Drittel der Teilnehmer lebte unter Hochrisikobedingungen wie chronischer Armut, psychischen Erkrankungen der Eltern oder familiären Konflikten.

Was sich dabei zeigte: Selbst bei diesen „Risikokindern“ reichte eine einzige Bezugsperson (die noch nicht einmal aus der eigenen Familie stammen musste) dafür aus, dass Jungen und Mädchen sich gut entwickelten und Resilienz gegenüber den Widrigkeiten des Lebens an den Tag legten.

Besonders wichtig scheint auch die Wahl des richtigen Partners respektive der richtigen Partnerin. So zeigte vor einigen Jahren eine Studie von Brittany C. Solomon und Joshua J. Jackson von der Washington University in St. Louis, dass ein verlässlicher, gewissenhafter Partner die Entwicklung der eigenen Karriere sowie die Höhe des Gehalts massiv ins Positive beeinflussen kann.

Selbst reiche, nach gängigen Maßstäben extrem erfolgreiche Menschen betonen die Bedeutung privater Beziehungen – und hier vor allem eines langfristigen Partners – für den Erfolg im Leben. So zum Beispiel Melinda Gates:

If you choose to have a partner in life, whoever you choose is probably the most important decision you make.”

Ähnlich äußerte sich Warren Buffett im Jahr 2017:  

„You want to associate with people who are the kind of person you’d like to be. You’ll move in that direction,” sagte er. „And the most important person by far in this respect is your spouse. I can’t overemphasize how important that is.“

Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

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