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Insights

Kälte als Lebensbooster

Autor

Georgiy Michailov

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Oder: Warum braunes Fett so wichtig ist

Für das Thema dieses Beitrags wurde ich von Wim Hof inspiriert, einem niederländischen Extremsportler, der als „Iceman“ für seine Fähigkeiten bekannt ist, sich Kälte unter dramatischen Bedingungen auszusetzen – und diese nicht nur zu überleben, sondern durch sie sogar auf ein neues Lebenslevel zu gelangen.

Mich mit den Effekten von Kälte zu beschäftigen, eröffnete mir völlig neue Perspektiven auf sehr viele Lebensbereiche. Sich gezielt Kälte auszusetzen, kann nicht nur den Körper positiv beeinflussen, sondern auch unsere Psyche stärken.

Ein kleiner Disclaimer vorab: Jede Kälte-Exposition kann auch Risiken bergen und sollte bei bestimmten Krankheiten oder Gesundheitszuständen vermieden werden. Daher sollte vor der Anwendung von Kälte-Exposition als Therapie immer ein Arzt konsultiert werden.

1. Einstellung und Selbstvertrauen

Anfangen möchte ich mit einem Blick auf unsere Komfort-Zone. Die gesundheitsfördernde Wirkung von Kälte ist seit vielen Jahrhunderten bekannt. Bereits im antiken Griechenland und im alten Rom wurde das Baden in kaltem Wasser als therapeutische Methode eingesetzt. Die Römer waren besonders für ihre öffentlichen Badehäuser bekannt, die sowohl warme als auch kalte Bäder anboten. Und die Griechen empfahlen ihren Athleten, vor Wettkämpfen in kaltem Wasser zu baden, um ihre Leistung zu steigern.

In den vergangenen Jahrzehnten ist es vielen Menschen gelungen, sich eine nie dagewesene Komfortzone zu schaffen. Damit ist auch die Kälte in Verruf geraten. Die dänische Kälteforscherin Dr. Susanna Søberg – Autorin des Buchs „Winterschwimmen“ – betont in diesem Zusammenhang:

„We're in a time now where we don't want to be uncomfortable. We are so used to seeking comfort all the time and we want everything to be warm. We want everything to be easy food, fast food. We want everything to be at our fingertips and we have taught ourselves that cold is not something that is useful for anything.”

Wim Hof sieht diese Entwicklung kritisch:

„The things we have built to make our lives easier have actually made us weaker.”

Kälte-Exposition ist der einfachste Weg, um unsere Komfortzone zu verlassen. Nur warum sollte das wichtig sein? Nun, vom Psychologen und Coach Jens Corssen habe ich gelernt:

„Glück ist eine Überwindungs­prämie.“

So gesehen, profitieren wir von der Selbstermächtigung und Selbstüberwindung. Darin besteht auch eine der Übungen für Fortgeschrittene in unserem mentalen Fitnessstudio, mit denen wir unser Selbstvertrauen trainieren können. Denn wenn wir uns vornehmen, etwas Unangenehmes zu tun und es dann auch tatsächlich in die Praxis umsetzen, stärken wir unser Selbstvertrauen – weil wir uns selbst über den Weg trauen können. Und Kälte ist wirklich etwas Unangenehmes, an das sich niemand so leicht gewöhnen kann. Sich ihr auszusetzen, stärkt das Selbstwertgefühl und die Fähigkeit, Schwierigkeiten zu überwinden. Mehr über die Drei Wege, sein Selbstwertgefühl zu steigern finden Sie in einem früheren Beitrag der „Thoughts for Leaders“.

2. Stimmung und Neurotransmitter

Mehrere Studien zeigen, dass Kälte-Exposition eine antidepressive Wirkung haben kann, weil sie die Freisetzung von Endorphinen und Noradrenalin erhöht. Darüber hinaus hat sie eine anxiolytische (angstreduzierende) Wirkung, da sie die Freisetzung von Dopamin und Serotonin verstärkt.

Sollten Sie einmal richtig gestresst sein, empfehle ich Ihnen, sich für zwei Minuten ins kalte Wasser zu begeben oder sich kalt abzuduschen. Das baut den Stress massiv ab. Doch dazu später mehr.

Eine traurige Randnotiz zu Wim Hof respektive den Gründen, wie er die Kälte als Kraftquelle für sich entdeckte: Der Anlass dafür war, dass seine Ehefrau sich aufgrund schwerer Depressionen das Leben genommen hatte.

„She had depression and had spiraled into darkness. I was left alone with four kids to look after and no money, dealing with the deep emotional agony and yet needing to be strong for my children. It was devastating. The children made me survive but it was the cold that brought me back to life. It healed me.

Instead of being guided by my broken emotions, the cold water led me to stillness and gave my broken heart a chance to rest, restore, rehabilitate."

Auch die Forschung bestätigt einen massiven Effekt der Kälte-Exposition.

Noradrenalin wirkt stark aktivierend auf Aufmerksamkeit, Wachheit, Konzentration und Antrieb.

Mangel von Noradrenalin hingegen kann zu Müdigkeit mit starkem Schlafbedürfnis bis hin zu extremer Erschöpfung, Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit und Konzentrationsstörungen führen. Eine Studie zeigte, dass ein Aufenthalt von 2-3 Minuten in einer Kältekammer bei -110°C bei Patienten mit depressiven Episoden zu einer signifikanten Erhöhung des Noradrenalin-Spiegels im Blut führte.

Andrew Huberman, Professor der Neurowissenschaften an der US-Universität Stanford zitiert wiederum eine Studie, die aufzeigt:

„They observed no significant increases in the stress hormone cortisol and that is both surprising, interesting, and important because what it means is that the quality of stress that deliberate cold exposure is creating in the body is likely to be one of what we call eustress.”

Eustress ist das, was wir als „positiven Stress“ kennen, und das Gegenteil von „distress“, dem „negativen Stress“ (der durch ein hohes Level des Stresshormons Cortisol gekennzeichnet ist). Neben den positiven Wirkungen auf den Geist ist somit auch der Nutzen für unseren Körper enorm.

3. Stoffwechsel und braunes Fett

Ist der Körper der Kälte ausgesetzt, gibt er der Versorgung der lebenswichtigen Organe den Vorrang. Sinkt die Körpertemperatur unter 35 °C, beginnt der Bereich der Unterkühlung (auch Hypothermie genannt). In diesem Fall verringert sich der Blutfluss zu weniger wichtigen Körperteilen wie Beinen und Armen, um sicherzustellen, dass Herz, Lunge, Leber und Nieren ausreichend mit Blut versorgt werden. Die Durchblutung normalisiert sich, wenn der Körper wieder erwärmt wird.

Interessant ist die positive Wirkung der Kälte auf unsere Blutgefäße. Diese verengen und erweitern sich, wodurch sie trainiert werden, ähnlich wie beim Muskeltraining. Das kann anfangs schmerzhaft sein, bringt aber langfristig Vorteile. Schließlich sind es rund 100.000 Kilometer, die auf diese Weise fit gehalten werden. Vor allem die Zunahme der weißen Blutkörperchen, die für die Abwehr von Infektionen und Krankheiten zuständig sind, führt zu einer Stärkung des Immunsystems. Darüber hinaus reduziert die Kälte-Exposition Entzündungen im Körper, indem sie die Aktivität von Entzündungsmarkern und oxidativem Stress verringert und die Freisetzung von entzündungshemmenden Molekülen stimuliert.

In einer Studie wurden mehr als 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, über einen Zeitraum von 30 Tagen hinweg entweder 30, 60 oder 90 Sekunden lang kalt zu duschen. Bis 90 Tage nach Beginn der Studie hatten die Teilnehmer 29 Prozent weniger Krankheitstage als die Kontrollgruppe, unabhängig davon, ob die kalte Dusche 30, 60 oder 90 Sekunden dauerte. Sprich: Schon mit 30 Sekunden kaltem Duschen tun wir etwas für unser Immunsystem

Die Aktivierung der Kälteschockreaktion durch kaltes Wasser führt zur Ausschüttung von Hormonen (Adrenalin, Noradrenalin) und in der Folge auch von Botenstoffen (Endorphin, Dopamin und Serotonin), alles, um den Körper vor Unterkühlung zu schützen.

Der auffälligste Effekt einer Kälte-Exposition ist der Zuwachs an Energie und die erhöhte Wachsamkeit. Dieser Effekt ist auf die bereits erwähnten Stresshormone zurückzuführen, die unseren Fight-or-Flight-Modus aktivieren und durch eine bessere Durchblutung für mehr Sauerstoff sorgen.

Eine für mich völlig neue Erkenntnis war die Existenz von braunem Fett. Im Gegensatz zum weißen Fettgewebe, das vor allem der Energiespeicherung und dem Schutz der Organe dient, ist das braune Fettgewebe auf die Erzeugung von Wärme durch den Prozess der „thermogenen Fettverbrennung“ spezialisiert.

Braunes Fettgewebe ist vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern vorhanden, da sie noch nicht über genügend Muskeln verfügen, aber eine höhere Wärmeproduktion benötigen, um ihre Körpertemperatur zu halten. Wenn wir älter werden, verlieren wir braunes Fettgewebe.

Das Besondere an braunem Fett ist: Es enthält eine große Anzahl von Mitochondrien, die ihrerseits große Mengen eines Proteins namens „Thermogenin“ enthalten. Thermogenin ermöglicht dem braunen Fettgewebe, Energie in Form von Wärme zu erzeugen, indem es Fettmoleküle verbrennt. Auf diese Weise kann braunes Fettgewebe dazu beitragen, den Stoffwechsel zu steigern und die Körpertemperatur zu regulieren.

Die gute Nachricht ist, dass braunes Fettgewebe durch Kälte aktiviert werden kann, und zwar bereits bei 18 °C. Fettsäuren werden aktiviert, um den Körper auf der richtigen Temperatur zu halten. Je niedriger die Temperatur, desto mehr braunes Fettgewebe wird aktiviert. So produziert zum Beispiel Wim Hof, der durch sein Training über mehr braunes Fett verfügt als andere, in einem 11 °C kalten Raum rund 35 Prozent mehr Körperwärme als bei normaler Raumtemperatur – und damit deutlich mehr Körperwärme als ein durchschnittlicher junger Erwachsener bei gleicher Temperatur.

4. Kälte-Exposition in der Praxis

Was die Praxis betrifft, so gibt es zum Kennenlernen Workshops oder Reisen nach der Wim-Hof-Methode, wie sie hierzulande zum Beispiel Dr. Josephine Worseck anbietet. Ich möchte mich hier aber nur auf meine eigenen Erfahrungen beziehen, denn sie sind für mich in der Praxis erprobt. Da ich mich bisher nur mit kalten Duschen beschäftigt habe, kann ich leider keine Aussagen über Kältekammern oder Eiswasserbäder machen. Beides ist zwar das Nonplusultra der Kälte-Exposition, aber für mich im Alltag zu unpraktisch.

Interessant ist vielleicht noch zu wissen, dass wir morgens besonders kälteempfindlich sind. Da ich aber morgens unter die Dusche gehe und auch den Kick der Frische zu Beginn des Tages erleben möchte, musste ich mich auch mit dieser Herausforderung auseinandersetzen.

Wenn ich von einer kalten Dusche spreche, dann meine ich eine kalte Dusche zum Schluss. Im Vergleich zu einer normalen Warmdusche empfehle ich einige Veränderungen in der Routine.

1. Bevor ich das Kaltwasser aufdrehe, stelle ich das Warmwasser auf die höchste Temperatur. Sowohl für heißes als auch für kaltes Wasser gilt der Grundsatz, dass es so unangenehm sein sollte, dass man der Situation entfliehen möchte. Auf jeden Fall erleichtern 30 Sekunden sehr heißes Wasser das „Aushalten“ des kalten Wassers sehr.

2. Die zweite Änderung betrifft unsere Atmung. Wir dürfen beim Kontakt mit dem kalten Wasser nicht nach Luft schnappen oder die Luft anhalten. Am besten ist es, in diesem Moment ganz gleichmäßig auszuatmen. Die Kunst besteht darin, sich sehr schnell vom Kälteschock zu erholen und wieder gleichmäßig zu atmen. Sehr hilfreich ist eine beruhigende Atemtechnik, die von Jack Feldman, einem bekannten Neurowissenschaftler und Professor an der University of California in Los Angeles, wiederentdeckt wurde. Er ist vor allem für seine Arbeiten über die neuronalen Grundlagen der Atemkontrolle bekannt und hat wichtige Beiträge zur Erforschung des Atemzentrums im Gehirn geleistet. Er empfiehlt, zweimal ohne Unterbrechung einzuatmen und dann sehr langsam für sieben, acht Sekunden auszuatmen. Vor der kalten Dusche mache ich drei solcher Atemzüge. Beim letzten Ausatmen beginne ich mit kaltem Wasser. Dieses Vorgehen hilft mir sehr, die Atmung zu stabilisieren.

3. Der letzte Aspekt ist die Dauer des Abduschens. Auch hier gilt: langsam steigern. Die ersten zehn Sekunden der Kälte nach dem heißen Wasser und dem anschließenden Ausatmen sind in der Regel unproblematisch. Irgendwann sollte man bei mindestens 30 Sekunden ankommen.

Eine weitere Möglichkeit, mit der Dauer umzugehen, habe ich in abgewandelter Form von Professor Huberman aus Stanford übernommen. Wir können bei der kalten Dusche auch von Wellen der Überwindung sprechen. Die erste Welle ist in der Regel die Überwindung des ersten Kältekontakts. Die zweite Welle kommt nach dem ersten langen Ausatmen, wenn man wirklich aus dem Wasser fliehen möchte. Die dritte Welle kommt später, wenn man sich unter dem kalten Wasser dreht. Man bestimmt selbst, wie viele solcher Wellen man überstehen will. Dafür muss man keine Zeit stoppen.

Abschließend kann ich jedem nur empfehlen, einfach einmal 30 Tage lang eine Kälte-Challenge zu machen und die Veränderungen an sich selbst zu beobachten.

Wenn Ihnen dieser Beitrag gefallen hat, freue ich mich über Ihr Feedback und Ihre Weiterempfehlung.

Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

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