Diese Erkenntnis kann einem in vielen Situationen helfen.
Ob im Internet, im Job oder im Privatleben: Immer wieder erleben wir, dass es in Gesprächen laut wird, dass wir verbal angegriffen werden oder uns Unterstellungen anhören müssen, die völlig aus der Luft gegriffen sind.
Jedes Mal fragen wir uns dann innerlich aufs Neue: Herrje, was tun?
Meist treffen uns solche Attacken unvorbereitet. Und so reagieren wir eher ratlos, spontan – und selten so, wie wir es uns später mit etwas Abstand wünschen würden.
Da ist es von Nutzen, solche Situationen einmal schon vorab zu durchdenken und sich ein paar Instrumente zurechtzulegen, um dann, wenn ein Konflikt auftritt, darauf zurückgreifen zu können.
In einem Gespräch für die „SMP LeaderTalks“ habe ich kürzlich mit Isabel García genau über diese Frage geredet – über Verhaltensweisen und Tipps, die in Momenten der Konfrontation hilfreich sein können.
Isabel ist eine gefragte Kommunikationsexpertin. Sie studierte zunächst Gesang und arbeitete rund zehn Jahre lang als Radiomoderatorin, merkte dann aber, dass sie sich doch gerne tiefer mit Sprache und Auftreten befassen wollte.
So ließ sie sich zur Diplomsprecherin ausbilden, bot Kurse an und veröffentlichte 2009 ein Hörbuch („ICH REDE. Kommunikationsfallen und wie man sie umgeht“). Es wurde ein enormer Erfolg. Bis heute wurden mehr als 100.000 Exemplare verkauft!
Seither hat Isabel die Palette ihrer Hörbücher oder E-Books zu Kommunikation und Rhetorik ständig erweitert. Sie schrieb Tipps für Schüler und Studierende, für Frauen und Männer, für die Kommunikation in Beruf und Beziehungen. Sie gibt Seminare, hält Vorträge und hilft Führungskräften wie Privatpersonen als Coach.
In ihren jüngsten Publikationen (z.B. „Wie sage ich eigentlich… ?“) widmete Isabel sich der Frage, wie wir Gespräche führen, die heikel sind oder aus dem Ruder zu laufen drohen. Darin gibt sie Tipps, wie wir mit verbalen Attacken, Beleidigungen oder Vorwürfen, mit schwierigen Momenten und Personen richtig umgehen.
Sieben ihrer wertvollen Hinweise möchte ich im Folgenden kurz zusammenfassen.
Wenn uns jemand beschimpft oder anders angeht, dann können wir…
… das erst einmal nur zur Kenntnis nehmen: Wenn jemand ausfallend oder unhöflich wird, wenn er andere herabwürdigt oder sie lächerlich macht, dann gibt es dafür in aller Regel einen guten Grund. Das kann Sprachlosigkeit sein, die Unfähigkeit, über Gefühle zu reden oder auch – im schlimmsten Fall – ein Trauma, das noch nicht aufgearbeitet und der Person womöglich selbst nicht bewusst ist.
In dem Moment können wir nicht wissen, was dieser Grund ist, aber wir können dem anderen konzedieren, dass er wahrscheinlich nicht aus purer Lust an der Aggression so auftritt, und in ihm weiter den Menschen sehen.
… nicht zum Gegenangriff übergehen: Werden wir attackiert, sind wir natürlich versucht, den anderen zurechtzuweisen oder zu fragen, wo er denn seine guten Manieren gelassen habe. Wir sollten das aber besser unterlassen, denn damit beschämen wir sie oder ihn nur und laufen Gefahr, dass alles weiter eskaliert.
… den Vorgang bezeugen: Damit meint Isabel, dem anderen ausdrücklich zu kommunizieren, dass wir seine Erregung, die Wut, die Verzweiflung wahrnehmen. Das bedeutet keineswegs, das Verhalten gutzuheißen, es zu beschönigen oder gar zu entschuldigen. Vielmehr geht es darum, zu signalisieren: Ich sehe Dich. Ich kenne zwar nicht die Gründe, aber ich sehe, dass Dich etwas bewegt. Das eröffnet dem anderen einen sicheren Raum und hilft, die Situation zu beruhigen.
… um Konkretion bitten: Macht uns jemand pauschale oder persönliche Vorwürfe, ist es ein so simples wie hilfreiches Mittel, Beleidigungen zu ignorieren und nett um ein Beispiel zu bitten. Haben die Vorwürfe Substanz, wird dies dem Gegenüber nicht schwerfallen, sind sie nichts als heiße Luft, wird es eher ausweichend reagieren oder irgendwann einräumen, dass es eigentlich selbst nicht weiß, was los ist.
Auch die (wiederholte) Bitte um Konkretion signalisiert: Ich sehe Deine Erregung – erkläre sie mir. Es lädt den anderen ein, die Situation ins Konstruktive zu wenden, sie zu lösen oder zumindest fruchtbar zu machen.
… Grenzen setzen: Hier geht es weniger um ein empörtes „Nicht mit mir!“, einen dramatischen Abgang mit großer Fanfare. Gemeint sind drei Dinge: 1. klarzumachen, dass für einen selbst eine Grenze erreicht ist, 2. Konsequenzen anzukündigen für den Fall, dass diese Grenze erneut überschritten wird, und 3. dann, wenn dies wider Erwarten doch geschieht, auch tatsächlich Konsequenzen zu ziehen.
Jeder hat sein individuelles „Stresstoleranzfenster“, sprich es kann von Person zu Person unterschiedlich sein. Da ist es nur fair, dem anderen zu sagen, wo es uns zu viel wird. Wenn er (oder sie) das dann ignoriert, ist es unser gutes Recht, zu tun, was wir angekündigt haben.
Isabel handelt auch selbst danach. Sie ist introvertiert und fühlt sich schon in großen Runden leicht mal überfordert. Kommen in ihrer spanischen Familie 20, 30 Menschen zusammen und sie merkt, dass es ihr zu viel wird, dann sagt sie das – und zieht sich zur Not zurück. Lieber aus der Situation herausgehen, als in einer Weise zu reagieren, die andere verletzt.
… das Verbindende betonen: Insbesondere bei Menschen, die uns etwas bedeuten, rät Isabel dazu, in die Selbstoffenbarung zu gehen und zu signalisieren, dass einem die Situation Schwierigkeiten bereitet, dass wir aber den Gesprächsfaden, das „Seelenband“ (Jens Corssen) zum anderen nicht abreißen lassen möchten. Vielleicht ist es nötig, den Austausch zu vertagen, damit die Gemüter sich wieder beruhigen, aber in dem Fall geht dies ohne Grollen.
… das Gespräch abbrechen: Haben wir das (und mehr) versucht, ohne dass sich das Gegenüber beruhigt oder sachlicher wird, dann haben wir jedes Recht der Welt, die Situation zu verlassen. Niemand muss sich in einem fort beleidigen lassen.
Jeder ist gut beraten, in schwierigen Gesprächen ruhig, sachlich und verbindlich zu bleiben, statt sich selbst zu lauten Tönen, aggressiven Formulierungen oder Ähnlichem hinreißen zu lassen – so schwer einem das manchmal auch fällt. In aller Regel macht dies die Situation nur schwieriger, nicht einfacher.
Ein Bereich, in dem ein aggressiver Ton und schnell gefasste Urteile inzwischen allerdings fast schon traurige Normalität sind, ist das Internet.
Vor allem in den sozialen Medien sind überschäumende Wut und Beleidigungen so verbreitet wie beklagenswert. Immer wieder gibt es Kommentare, bei denen jemand offensichtlich nur einen Aufhänger gesucht hat, um seine Ressentiments loszuwerden. Diesem Verhalten haftet teils etwas Manisches, ja Verzweifeltes an. Dennoch: Da verbreitet jemand nur Hass und negative Energie.
Menschen, die sich so verhalten, würde Isabel García gerne raten, sich einmal selbst zu fragen: Was triggert mich derart, dass ich verbal so über die Stränge schlage? Ist es etwas Inhaltliches – oder vielleicht doch eher die eigene Unsicherheit, Überforderung, Hilflosigkeit, ein Trauma, eine negative Erfahrung?
Sie sagt: Wenn jemand etwas, das seine persönliche Baustelle ist, nach außen trägt, wenn er diese, statt sich damit auseinanderzusetzen, lieber zum Problem für einen anderen Menschen macht, dann sollte er besser schweigen – und innehalten.
Klar: Jeder hat seine schwachen Momente. Wer sich aber bewusst macht, dass er einen schlechten Tag hat, und seine Trigger kennt, der kann sich in Momenten, in denen er früher jemanden mit lockeren Worten attackiert oder der Lächerlichkeit preisgegeben hätte, zurückhalten – und das auch offen ansprechen.