„Ich denke, dass Identität das Thema unserer Zeit ist.“
Immer mehr Menschen suchen Hilfe in psychologischer Beratung – doch nicht jeder, der leidet, ist krank. Dr. Holger Richter ist Psychotherapeut, Gutachter und Autor. Er beschäftigt sich mit Fragen wie: Was passiert, wenn wir Symptome zu Diagnosen machen und psychische Erkrankungen zur Identität werden? Wenn Therapie zum neuen Lifestyle wird und psychologische Etiketten echte Selbstreflexion ersetzen?
„Wir beschreiben, was Leute machen – und nennen das dann Krankheit.“
In seiner langjährigen klinischen Arbeit beobachtet Richter eine bedenkliche Entwicklung: Die Zahl der Diagnosen nimmt zu, jedoch nicht zwingend das Leid. ADHS, das Hochstapler-Syndrom oder Burnout – viele dieser Zustände sind komplexer, als es ein Etikett vermuten lässt. Richter plädiert für einen systemischen Blick auf psychische Belastung, der soziale und gesellschaftliche Dynamiken berücksichtigt – und warnt davor, die Psychologie zur universellen Lösung zu erheben. Mit Georgiy Michailov spricht er über das Vorsorge-Paradoxon, die therapeutische Wirkung der Liebe und die Bedeutung der Geschichte von Krankheiten.