„Ich bin total im Stress.“
„Gott, ist das stressig.“
„Lange mache ich diesen Stress nicht mehr mit.“
Wir alle kennen solche Sprüche. Wir sagen sie selbst, wir hören sie von anderen, und das ziemlich oft. Stress ist heute allgegenwärtig und wird meist als etwas Schlechtes betrachtet.
An sich kommt der Begriff „Stress“ aus dem Englischen und steht für Anspannung, für Zug, für einen Druck oder für jede andere Belastung, die auf Materialien wie Holz oder Metall einwirkt.
Diese Bedeutung klingt auch heute noch an, zum Beispiel wenn wir Banken einem „Stresstest“ unterziehen oder die Annahmen eines Modells „stressen“.
Damit verbunden ist immer die Frage: Halten Sie dem Druck stand?
In der Wissenschaft beschreibt „Stress“ ursprünglich neutral die Tatsache, dass der menschliche Körper auf äußere Reize reagiert. Dazu zählen Hunger und Durst, der Angriff eines Widersachers, der Kampf mit einem Tier, Hitze, Kälte und vieles mehr. In solchen Fällen aktiviert der Körper den Stoffwechsel und mobilisiert Energie. Prinzipiell ist das erst einmal positiv.
So erklärte es Eva Peters, eine anerkannte Expertin für alle Fragen zum Thema Stress, im Gespräch für die „SMP LeaderTalks“.
Peters ist Professorin für Psychoneuroimmunologie an der Charité. Bei dieser relativ jungen, interdisziplinären Fachrichtung geht es vor allem darum zu verstehen, wie Psyche, Nervensystem und Immunsystem zusammenspielen.
Zudem leitet Peters seit 2010 das Labor für Psychoneuroimmunologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Sie ist Fachärztin für Psychosomatische Medizin, für Psychotherapie, für Dermatologie und für Venerologie. Ihre Fachpublikationen werden zu Tausenden zitiert.
Wissenschaftliche Fortschritte allein reichen Peters indes nicht. Ihr ist es ein Anliegen, Stress in all seinen Facetten auch einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen. Aus diesem Grund hat sie 2025 das Buch „Stress verstehen: Wenn Körper und Psyche Alarm schlagen“ veröffentlicht. Darin beschreibt sie, welche biologischen und chemischen Prozesse zu Stress führen, was wir dagegen tun können und wieso Psychotherapie manchmal der einzige Ausweg ist.
Prinzipiell handelt es sich bei Stress um eine Anpassungsreaktion: Wir werden überrascht, erschrecken, eine Situation fordert uns heraus – und wir versuchen, mit der Gefahr umzugehen. Dafür reagieren wir auf verschiedenen Ebenen: körperlich, seelisch, emotional, kognitiv, in unserem zwischenmenschlichen Verhalten.
Eine zentrale Rolle spielt dabei eine Achse zwischen Hypothalamus, Hypophyse und der Nebennierenrinde, die über Botenstoffe und ein komplexes Zusammenwirken dazu führt, dass der Körper mehr vom Hormon Cortisol ausschüttet.
Vor allem das Cortisol sorgt dafür, dass wir alle Kräfte aktivieren. Grundsätzlich ist das auch sinnvoll und hilfreich.
Zum Problem wird Stress, wird die Ausschüttung von Cortisol erst, wenn es zu viel davon gibt – oder wenn es zu lange anhält, sprich wenn wir uns dauerhaft in einem Zustand der Anspannung befinden. Dies wirkt sich negativ auf unsere Psyche, unseren Körper und unser Wohlbefinden aus.
Erstmals entdeckt und beschrieben wurden diese Zusammenhänge von Hans Selye, einem Forscher, der 1907 in Wien geboren und 1934 Professor im kanadischen Montréal wurde.
Selye starb 1982, sein Name wird den meisten Menschen wenig sagen. Doch er war es, der den Begriff „Stress“ um das Jahr 1950 überhaupt erst ins öffentliche Bewusstsein brachte. Er selbst soll gesagt haben: „Ich habe allen Sprachen ein neues Wort geschenkt – Stress.“
Mit rund 1700 Arbeiten und 40 Büchern gilt Selye bis heute als sehr einflussreich und als „Vater“ der Stressforschung. Laut Google Scholar wurden seine Arbeiten bis heute fast 116.000-mal zitiert, sein H-Index liegt bei 108 – beides sind außergewöhnlich hohe Werte.
Ausgangspunkt für Selyes Forschung war die frühe, noch während des Studiums gemachte Beobachtung, dass viele Patienten zwar an unterschiedlichen Krankheiten wie Herzproblemen, Magengeschwüren oder Depressionen litten. Zugleich wiesen sie aber ähnliche Symptome auf – etwa Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust oder das starke Bedürfnis, rein gar nichts zu tun.
In Kanada begann Selye in den Dreißigerjahren mit Experimenten, in denen er Tiere wiederholt äußeren Stressfaktoren aussetzte. Auf diese Weise entdeckte er die Rolle des (das damals erst seit Kurzem bekannten) Cortisols und das, was er anfangs das „Allgemeine Adaptionssyndrom“ und später schlicht „Stress“ nannte: die Anpassungsreaktion des Körpers auf äußere Bedrohungen.
Vielen bekannt sein dürfte das „Fight-or-Flight-Syndrom“, das erstmals 1915 von Walter Cannon beschrieben wurde. Dabei geht es um akuten Stress respektive die rasche Reaktion darauf – reduziert auf die Alternativen „Kampf oder Flucht“. Wichtig ist hierfür das Hormon Adrenalin, das seine Wirkung binnen Sekunden entfaltet, anders als Cortisol, das dafür mehrere Minuten benötigt.
Der Fokus von Selye lag nicht auf akutem Stress, sondern auf chronischem Stress. Ihm zufolge reagieren Menschen darauf in drei Phasen: erst alarmiert, dann mit Anpassung oder Widerstand und schließlich mit Erschöpfung.
Zudem unterschied Selye als erster zwischen gutem, belebendem Stress (genannt „Eustress“) und schädlichem Stress („Distress“). Wobei Stressexpertin Eva Peters betont, dass die Forschung heute davon ausgeht, dass fast jeder Stress beide Elemente aufweist.
Moderne Forscherinnen wie Peters befassen sich längst mit dem komplexen Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen, die bei Stress zum Tragen kommen: den körperlichen Prozessen, den psychologischen Wirkungen und den sozialen Folgen. Dies gilt sowohl für die Untersuchung von Stressursachen als auch für die Frage, wo eine Behandlung am besten ansetzen sollte.
Neben ihrer Arbeit als Wissenschaftlerin betreut Peters als Privatärztin seit vielen Jahren Patientinnen und Patienten, die mit Stress, stressbedingten Krankheiten und Burnout oder Depression zu kämpfen haben. Dabei ist es ihr wichtig, stets Körper, Geist und soziales Umfeld im Zusammenspiel zu betrachten und die Behandlung gemeinsam mit den Betroffenen zu entwickeln.
Am Ende geht es dabei immer wieder um die Frage: Wie lassen sich Körper und Seele so stärken, dass sie Stress besser aushalten?
Grundsätzlich gilt: Guter Stress macht Freude, er weckt unsere Lebensgeister. Geht er zudem mit Wertschätzung durch Dritte einher, kann er uns Auftrieb geben.
Schlechter Stress hingegen hört gefühlt nie auf, und wenn das auch noch ohne jede Belohnung geschieht, droht der Burnout. Eine tiefe körperliche Erschöpfung, von der es nicht mehr weit ist bis zur Depression.
Das Gemeine dabei ist, dass die körperlichen Muster dahinter aus einer anderen Zeit stammen – in der die Menschen noch regelmäßig um ihr Leben fürchten mussten und die Nahrungssuche mühsam war.
Heute aber bedroht uns höchstens noch der Chef, wir haben ein Dach über dem Kopf, es ist warm – und wenn wir gestresst sind, können wir zu Schokolade, Zigaretten und Alkohol greifen. Was auf den ersten Blick glücklich macht. Eine kalorienreiche Nahrung oder Nikotin signalisieren dem Körper, dass der Stress vorbei ist. Sie beruhigen uns.
Bloß: Jeder Mensch weiß, dass Chips, Cola und Zigaretten langfristig nachteilige Folgen haben. Ein guter Umgang mit Stress sieht daher anders aus.
Besser ist es, körperliche Alarmzeichen zu erkennen. Die Ernährung und gefährliche Gewohnheiten zu ändern, ja am besten neue, vorteilhafte Routinen in den Alltag zu integrieren. Bewegung hilft. Ausreichend Schlaf. Auch sinnvolle Beschäftigungen sowie Menschen, die uns guttun, tragen ihren Teil dazu bei, leichter mit Stress klarzukommen. Zusammen stärken diese Faktoren unsere Resilienz.
Stress komplett vermeiden zu wollen, ist eine Illusion. Doch unsere Reaktion darauf – die können wir gestalten. Wer dies allein nicht schafft, der sollte sich Hilfe von außen holen, zu Beginn vielleicht von Freunden, im Zweifel aber am besten von Therapeuten, die sich darauf verstehen.